Die Statisten - Roman
Alternative, auch er würde gehen müssen. Wie hätte der es ertragen können, für jemanden zu arbeiten, der früher sein Schüler gewesen war?
Ja, alles hatte sich geändert, alles.
Und natürlich war alles, aber auch alles, genau so wie vorher. Sadanand Navares New India Brass Band war vor langer Zeit gestorben, doch sie erfreute sich nach wie vor bester Gesundheit. Wie hinduistische Götter hatte sie mehrere Inkarnationen durchgemacht. Selbe Musiker, neuer Name und neuer Bandleader. Navares Speichellecker und menschliches Echo, Umakant Kamble, der Schauspieler, der in der Gestalt des Madan, des Gottes der Liebe, einem Kalendermaler Modell gestanden hatte, als Ravan noch nicht auf der Welt war, hatte die Gruppe unter dem Namen Madan Musical Brass Band zu neuem Leben erweckt. Er bildete sich ein, noch immer wie der hinduistische Amor auszusehen, und befürchtete, dass die Bräute, auf deren Hochzeiten er spielte, ganz zu schweigen von allen sonstigen anwesenden Damen, in der unmittelbaren Gefahr schwebten, ihr Herz an ihn zu verlieren, und ihn anflehen würden, mit ihnen durchzubrennen. Der Mann war seit Ravans Zeit als unbezahlter Lehrling nicht um einen Tag gealtert. Unter seinem teerschwarzen Haar war nach wie vor ein Fingerbreit weiÃer Wurzeln zu sehen. Unglücklicherweise hatte Madan Musical trotz Kambles überlegenen Bandleader-Qualitäten ihre erste Saison nicht überlebt. âEs ist wirklich ganz einfachâ, erklärte Kamble mit einem tragischen Lachen jedem, der es hören wollte, und wenn sich kein bereitwilliger Zuhörer fand, spielte es auch keine Rolle. âNur die MittelmäÃigen haben im Leben Erfolg, nicht die auÃergewöhnlich Begabten. Die Leute waren neidisch auf mein Aussehen und meine musikalische Begabung und setzten alle möglichen böswilligen Gerüchte in Umlauf: Ich sei nicht imstande, einen Ton sowie die Mitglieder meiner Band unter Kontrolle zu halten.â
Der Taktstock war dann auf Kanhaiyyalal, den Klarinettenspieler, übergegangen. Er hatte der Musikwelt eine wahrhaft einzigartige Offenbarung geschenkt. Diese bestand in seiner Ãberzeugung, dass der Song âJab dil hi tut gaya, ab ji ke kya karenge?â (Wenn das Herz gebrochen ist, was hat es für einen Sinn zu leben?) des unsterblichen Sängers und Schauspielers K.L. Saigal den Hauptschlüssel zu jedem Lied, jeder Melodie, jeder Symphonie, jedem Raga, Konzert oder Chorwerk der Vergangenheit oder Zukunft darstellte. Er fasste in sich das gesamte Universum der Musik. Ja, man würde sogar feststellen, dass er die Grundmotive und die Struktur jeder nur vorstellbaren Komposition enthielt. Am bemerkenswertesten dabei war, dass Kanhaiyyalal auch das Zeug hatte, seine Theorie zu beweisen. Er brachte es fertig, jedes Lied â ob indisch, englisch, chinesisch, französisch oder deutsch, klassisch, Folk oder Pop â exakt so wie Mr Saigals melancholische, herzzerreiÃende Melodie klingen zu lassen. Im Laufe der Zeit hatten verschiedene Leute, darunter sogar der junge Ravan, versucht, Kanhaiyyalal von seiner universalen Musiktheorie abzubringen. Navare hatte zu mehreren Gelegenheiten gedroht, ihn aus seiner Band rauszuwerfen, aber Kanhaiyyalal verteidigte seine Ãberzeugung standhaft. Wie es sich für einen revolutionären Denker gehörte, war er seiner Sache â beziehungsweise seinem Guru, wie er es formuliert hätte, Saigal-sahab und dessen âJab dil hi tut gayaâ â treu geblieben. Seine Truppe hatte er, was keinen überraschen wird, The Immortal Saigal Band genannt. Doch auch sie hatte sich letztlich als sterblich erwiesen.
So war es denn am jüngsten Mitglied der Combo, sein Glück zu versuchen. Ravan Pawar, Taxifahrer mit der Seele eines musikalischen Visionärs, hatte das Zeug, dem Fluch, der die Band verfolgte, ein Ende zu setzen. Dazu brauchte er lediglich das Alteisen â Navare, Kamble und Kanhaiyyalal â hinauszubefördern und für frisches Blut und neue Ideen zu sorgen. Er hatte sich unverzüglich an die Arbeit gemacht. Es gab nur einen winzig kleinen Haken. Warum sollte jemand einer Kapelle beitreten, die im Laufe von drei Jahren in ihren vorherigen Inkarnationen bereits drei Mal den Geist aufgegeben hatte? Und wichtiger noch: Warum sollte sich jemand, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, einem Bandleader anschlieÃen, der den mehr als Unglück verheiÃenden Namen Ravan
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