Die Statisten - Roman
Göttern und Menschen war, sondern auch der Ãberwinder des bösen zehnköpfigen Königs Ravan, nach dem seine Mutter ihn umbenannt hatte. Ihm war allerdings klar, dass es dumm von ihm wäre, die heldischen Sprüche seines Vaters ernst zu nehmen, ebenso wie er wusste, dass es noch dümmer wäre, seine Mutter nicht beim Wort zu nehmen. Er stand widerspruchslos auf, faltete das Laken zusammen, rollte die Matratze auf und schob sie unter das Bett seines Vaters.
Richtig in Rage brachte Ravan aber, dass seine Mutter ihn mit seinem Vater verglich. Shankar-rao hatte sein ganzes Leben lang nichts geleistet. Ja, er war nichts, Punkt. Nichts. Und er bedeutete Ravan nichts. Selbst ein Bett, ein Stuhl oder eine dari besaÃen mehr Präsenz und waren nützlicher als Shankar-rao. Die Einzige, die in der Familie arbeitete, war seine Mutter. Sie kochte den ganzen Tag und belieferte Wanderarbeiter, die in Baumwollspinnereien und kleinen Fabriken beschäftigt waren, mit Mahlzeiten. Sein Alter, der so alt eigentlich gar nicht war, glaubte, es gehöre sich für einen Mann nicht, seine Energie in niedere Tätigkeiten zu investieren. Mehr als das: Er war überzeugt, es laufe seinem dharma zuwider, seine Energie in was auch immer zu investieren. Er hatte sein Leben höheren Bestrebungen geweiht, so etwa das Schundblatt âBittambatmiâ zu lesen, im Bett zu liegen und seiner Frau zu befehlen, ihm Tee und pikante Knabbereien zu bringen, und das Geld auszugeben, das seine Frau verdiente. Wie konnte Ravans Mutter nur meinen, Ravan würde jetzt oder jemals ein so sinnloses Leben führen? Vater und Sohn hatten nichts gemeinsam. Etwaige Ãhnlichkeiten zwischen den beiden waren rein zufällig.
Ravan war von einer fixen Idee verfolgt, gepackt und besessen. Er genierte sich, darüber zu sprechen oder es jemandem gegenüber auch nur zu erwähnen, aber sie war das, wofür er lebte. Seit seiner Kindheit â seitdem er den Film âDil Deke Dekhoâ gesehen hatte â wusste Ravan, was er werden wollte. Er würde ein zweiter Shammi Kapoor werden, der Raja gespielt hatte, den Protagonisten von DDD . Er würde ein Kinoheld werden, ein Star. Egal, was es kostete, wie hart er arbeiten oder welch schreckliche Opfer er würde bringen müssen â er würde ein Superstar werden. Mit nichts Geringerem würde er sich zufrieden geben. Seine Mutter konnte sich die Mühe sparen, ihn sich tot zu wünschen, sollte er nach seinem Vater geraten. Er würde sich eher selbst umbringen, mit dem groÃen Hackmesser, das sie beim Kochen immer benutzte, als in seines Vaters FuÃstapfen zu treten.
Doch Ravan trug noch ein weiteres Geheimnis mit sich herum; man hätte es auch Siechtum nennen können, eine Krankheit, die ihn, wie er annahm, letztlich umbringen würde. Ihr Name war Pieta. Und ⦠und ⦠und er liebte sie. Da: Jetzt hatte er es sich, wenn auch sehr leise, zum ersten Mal selbst eingestanden. Es war nicht besonders klug von ihm, sich in sie zu verlieben. Sie war die Schwester Eddie Coutinhos, des katholischen Jungen, der im Stock über ihm wohnte. Eddie und dessen Mutter hatten Ravan schon als kleines Kind öffentlich zum Feind erklärt, und er konnte nichts daran ändern. Das Komische war, dass er den beiden gegenüber keinerlei Feindseligkeit empfand. Ravan hatte keine Ahnung, was Pieta von ihm dachte. Und überhaupt, was redete er da, hatte er sie nicht mehr alle? Das Problem war nicht, was sie von ihm dachte; es war eher so, dass sie überhaupt nicht an ihn dachte. Sie wusste nicht einmal von seiner Existenz. Ravan konnte auf der Dachterrasse des Hauses sitzen und nach ihr schmachten, stundenlang im iranischen Café um die Ecke oder drauÃen vor ihrem College warten, und doch â kaum sah er sie kommen, wagte er es nicht, die Augen zu heben. Sie quirlte sein Herz zu Schlagsahne, und er bekam weiche Knie. Oh, er konnte sich selbst nicht ausstehen; er gab eine so jämmerliche Figur ab, er war einfach unerträglich!
Doch jetzt war nicht die Zeit, an seine Schauspielerkarriere oder an Pieta zu denken. Ihm lag Dringlicheres auf der Seele. Wie, fragte sich Ravan, konnte sich alles binnen Minuten so einschneidend geändert haben? Erst vor ein paar Augenblicken war er noch ein Kind gewesen. Jetzt teilte ihm seine Mutter mit, er sei ein erwachsener Mann und müsse sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Er war nach wie vor in der
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