Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
über-optimistisch davon ausgehen, dass alles, was möglich und technisch machbar ist, bald schon im Mainstream angekommen sein wird.
Ein schönes Lehrbeispiel für ein Unternehmen, das auf den Hype hereingefallen ist und dadurch fast vom Markt gefegt worden wäre, ist Lego. Über Jahrzehnte stellte die schwedische Spielzeugmarke im Wesentlichen jene berühmten bunten Bausteine her, die der Tischler Ole Kirk Christiansen 1937 entwickelt hatte; damit hat Lego die Fantasie zum Selber-Kombinieren angeregt und Generationen von Kindern glücklich gemacht. Als mit dem neuen Jahrtausend die Digitalisierung der Kinderzimmer begann, wollte die Firma aus Billund in Jütland unbedingt mittun, kaufte Star-Wars-Lizenzen und ließ Computerspiele entwickeln. Mit dem Ergebnis, dass Lego ins Straucheln geriet, rote Zahlen schrieb und hunderte von Arbeitsplätzen streichen musste. „Die Marke Lego, die bis dahin als Synonym für Kreativität und Spiellust stand, wurde arg beschädigt“, schreibt rückblickend das Handelsblatt im Februar 2013. Erst der 2004 ernannte junge neue Firmenchef Jørgen Vig Knudstorp konnte die Marke wieder auf Kurs bringen, indem er in unermüdlichen Gesprächen mit Mitarbeitern und Kunden herausfand, dass „die Seele von Lego“ verlorengegangen war. Daraufhin verschlankte er das Geschäft und entwickelte einen konsistenten Kurs der Rückbesinnung. In eigenen Lego-Shops kann man heute die bunten Bausteine sogar nach Gewicht kaufen. Der Umsatz wächst zweistellig, der Gewinn stieg 2012 um 40 Prozent: „Lego steht wie ein Klotz in der Brandung“, schreibt das Handelsblatt, und „hat selbst im krisengeschüttelten Südeuropa zulegen können. Bei Kindern wird offensichtlich nicht gespart.“ Der Lego-Stein-Strategie sei Dank.
Zähflüssige Zukunft
Die Aufmerksamkeitsökonomie der Massenmedien bildet ein Umfeld, das Experten mit Hang zur – positiven oder negativen, utopischen oder apokalyptischen – Übertreibung begünstigt. „Hund beißt Mann“ ist keineNachricht, „Mann beißt Hund“ ist eine. Im Zweifel gewinnt die abenteuerlichere, halsbrecherischere These. „Die Anreize sind so offensichtlich wie gewaltig“, schreibt Dan Gardner: „Es winken TV-Beiträge, Zeitungsinterviews, hochdotierte Beraterverträge, die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit und der wichtigen Entscheidungsträger.“ Der mediale Hunger für das Spektakuläre korrespondiert mit einem extremen Kurzzeitgedächtnis. Nichts ist älter als die Zeitung von gestern.
Das ist laut Gardner der Grund, weshalb die Medienlieblinge erstaunlich oft mit ihrer überzogenen Prophetie davonkommen, anstatt darauf festgenagelt zu werden – was kümmert die Öffentlichkeit ihr Geschwätz von gestern?
Die mediale Filter Bubble verstärkt das „future babble“, das Zukunftsgewäsch. Die je aktuellen und medial verbreiteten Zukunftvisionen, zusammengesetzt als Puzzle von Expertenprognosen, sind damit nicht viel mehr als hysterisierte Abziehbilder der Gegenwart, während die reale Zukunft ein Stück die Straße runter in aller Regel viel unspektakulärer und vertrauter aussieht.
Neue Technologien kommen gewaltig, aber langsam. Wie es der Science-Fiction-Autor William Gibson weise formuliert hat: „Die Zukunft ist längst hier – sie ist nur noch nicht gleichmäßig verteilt.“ Die Fließgeschwindigkeit der Zukunft entspricht dabei eher der eines zähflüssigen Gels als der von Quecksilber. In der Regel dauert es länger, als Pioniere und Experten vermuten, bis Innovationen und Trends von einer – im doppelten Wortsinn – kritischen Masse angenommen werden und damit ihr gesellschaftliches und unternehmerisches Potenzial entfalten.
Oft hat man es dabei mit „Long fuse, big bang“-Phänomenen zu tun. Auf das Abbrennen einer langen Zündschnur folgt ein großer Knall. Der Trend selbst ist bekannt und birgt kein Geheimnis, bleibtaber lange hinter den Erwartungen zurück. Irgendwann, wenn man schon vermutet, die Lunte sei erloschen, explodiert er kommerziell. Bei Trends diesen „tipping point“ vorherzusagen, den Umschlagpunkt, von dem an sich die Dinge sehr viel dynamischer entwickeln, ist die eigentliche Kunst. Die Überraschung steckt somit nicht im Trend selbst, sondern im Timing.
Die kurze Aufmerksamkeitsspanne der öffentlichen Wahrnehmung und die langsame Fließgeschwindigkeit von Trends vertragen sich nicht gut. Deshalb neigen wir dazu,die kurzfristigen Auswirkungen neuer Technologien zu überschätzen, während
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