Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
Professoren. Wichtig war ihm, dass sie als öffentliche Kommentatoren in Erscheinung getreten waren und in irgendeiner Form als Berater Prognosen über politisch-ökonomische Trends abgaben. Dieser Gruppe schickte er Fragebögen zu, mit der Bitte, eindeutig entscheidbare Fragen über zukünftige Entwicklungen zu beantworten, etwa: „Wo steht der Ölpreis in zwei Jahren?“ oder „Wie hoch schätzen Sie dieWahrscheinlichkeit ein, dass es innerhalb von fünf Jahren zu einem Krieg zwischen Indien und Pakistan kommt?“ Unter Zusage von Anonymität glich er die Antworten dann mit den realen Entwicklungen ab und sammelte auf diese Weise über 20 Jahre hinweg knapp 25 000 Dateneinträge an belastbarer Empirie ein.
Die Ergebnisse, veröffentlicht 2005 im Buch Expert Political Judgement , sind ein Schlag ins Kontor der Expertenzunft. Im Großen und Ganzen war die Güte der Expertenprognosen nicht besser als der nackte Zufall. Das heißt, sie wären „von einem Dartpfeile werfenden Schimpansen geschlagen worden“, wie Tetlock es formuliert. Aber nicht alle schnitten gleichermaßen schlecht ab. Tetlock teilt seine Experten in zwei Lager: Füchse und Igel. Die Unterscheidung geht zurück auf Isaiah Berlin, der sich wiederum auf ein altes griechisches Gedichtfragment bezieht, das lautet: „Der Fuchs weiß viele Dinge, der Igel ein großes Ding.“ Igel sind also diejenigen, die auf ein Thema abonniert sind und „eine große Idee“ verfolgen, während Füchse eher über ein breites Wissen verfügen und sich durch eine größere Demut vor der Zukunft auszeichnen.
In Tetlocks Experiment schlugen die Füchse die Igel eindeutig, einfach aufgrund ihrer vorsichtigeren und abwägenden Prognosen. Die Igel hingegen lagen sogar umso weiter daneben, je mehr die Prognose mitihrem Spezialthema zu tun hatte. Aufgrund ihres großen Fachwissens überschätzten sie systematisch sowohl ihre eigene Prognosefähigkeit als auch die durchschlagende Bedeutung ihres Themas für die allgemeine Zukunft. Zur sprichwörtlichen Betriebsblindheit tritt „overconfidence“, überzogenes Selbstbewusstsein.
Dummerweise sind es die selbstbewussten Igel, nicht die abwägenden Füchse, die im Rennen um die mediale Aufmerksamkeit die Nase vorn haben. Dan Gardner, der in seinem Buch Future Babble mit Bezug auf Tetlocks Experiment die atemberaubende Unzuverlässigkeit von Expertenprognosen aufspießt und dem Phänomen nachgeht, warum diesen Experten immer noch zugehört wird, schreibt: „Die Menschen wollen Sicherheit. Das ist der psychologische Mehrwert von Expertenvorhersagen. Füchse liefern sie seltener. Sie mögen die Zahl möglicher Zukünfte einschränken und – vorsichtig – Wahrscheinlichkeiten an jede einzelne heften, aber das reduziert nur die Unsicherheit, es eliminiert sie nicht. Igel dagegen triefen vor Selbstbewusstsein.“ Dieser überzogene Glaube an die eigene Unfehlbarkeit ist gleichzeitig Voraussetzung, öffentlich als Experte wahrgenommen zu werden, und die größte Fehlerquelle für Zukunftsprognosen.
Future Babble
Bei Licht besehen ist das keine große Überraschung. Experten, die auf ein Spezialgebiet abonniert sind, beispielsweise Social Media Marketing, bewegen sich in einer Blase: auf Internet-Konferenzen, Marketing-Kongressen etc. Dort treffen sie auf ihresgleichen: Menschen, die ebenfalls Social Media Marketing für den wichtigsten Trend aller Zeiten halten. „Groupthink“ nennt man diesen Tunnelblick, der aus sozialer Ähnlichkeit entsteht: Experten gleichen Schlages bestätigen sich gegenseitig die Akkuratheit ihrer selektiven Weltwahrnehmung. Selbst die Veröffentlichungen, die man liest, die Menschen, denenman auf Twitter oder Facebook folgt, stammen meist aus dem Lager Gleichgesinnter. Der Web-Aktivist Eli Pariser hat für diesen Feedback loop den schönen Begriff „filter bubble“ geprägt. Wir alle – und Experten in verschärfter Form – sitzen in einer Echokammer, die unser eigenes Weltbild stützt und ständig neu bestärkt.
Wenn dann die medialen Multiplikatoren hinzutreten und den notorisch nur mit seinem Thema befassten Experten wieder und wieder buchen und zu Wort kommen lassen, damit er seine erwartbaren Statements, O-Töne und Talkshow-Meinungen abgibt, verstärkt sich diese positive Feedback-Schleife: Was so viel mediale Aufmerksamkeit generiert, kann schlicht nicht verkehrt sein. Tausend Kameraaugen können nicht irren. Tetlock folgert: „Je größer die mediale Präsenz eines
Weitere Kostenlose Bücher