Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
Lust daran, mit einer eigenen Software online gehen zu müssen, um dort einen hübsch gejäteten Vorgarten statt des wahren Internetdschungels vorzufinden. Heute ist AOL ein Schatten seiner selbst.
Diners Club, 1950 gegründet, war das erste Unternehmen weltweit, das eine international akzeptierte Kreditkarte als eigenständige Dienstleistung anbot. Doch während Diners Club sich aus seinen Anfängen heraus stets an eine prestigeträchtige Klientel kosmopolitischer Geschäftsleute und Vielreisender richtete, teilten American Express, später Visa und MasterCard den wachsenden Weltmarkt für Konsumenten-Kreditkarten unter sich auf. Heute ist Diners Club kein nennenswerter Player mehr.
Der frühe Vogel fängt den Wurm, aber die zweite Maus bekommt den Käse. Die Vormachtstellung, die man als Pionier innehat, trägt den Keim des Scheiterns bereits in sich. Dem unbestreitbaren „first mover advantage“ steht eine Reihe von „first mover disadvantages“ gegenüber: Vorn ist bekanntlich da, wo sich keiner auskennt. Der Vorreiter muss alle design-, marketing- und servicetechnischen Fallstricke des neuen Marktsegments meistern, ohne sich auf etablierte Standards stützen zu können. Nachzügler und Trittbrettfahrer können sein Straucheln beobachten und aus seinen Fehltritten die richtigen Schlüsse ziehen. Nicht zuletzt bringt der frühe Erfolg eine Fixierung auf das bestehende Geschäftsmodell und die damit erreichte Kundenbasismit sich – was den Blick auf neue Zielgruppensegmente verstellt, die jenseits der eigenen Stammklientel liegen.
Dem Management solcher Firmen ist deshalb nicht einmal ein Vorwurf zu machen. Es gibt Konstellationen, in denen man als Pionier nach allen Regeln der Managementkunst alles richtig machen kann und dennoch vom Markt überrollt wird, wie Clayton Christensen in seinem Buch The Innovator’s Dilemma schreibt: „Gerade weil diese Firmen auf ihre Kunden gehört und aggressiv in neue Technologien investiert haben, die diesen Kunden mehr und bessere Produkte der gewünschten Sorte bescherten, weil sie zudem sorgfältig die Markttrends studiert und Ressourcen dort investiert haben, wo sie die größten Erträge versprachen, haben sie ihre Führungsposition verspielt.“
Shock of the old
Man muss unterscheiden. Natürlich gibt es Märkte, die so stark durch technologischen Wandel getrieben sind, dass an Innovationen scheinbar kein Weg vorbeiführt. Das gesamte Segment Computer und Verbraucherelektronik gehört zweifellos dazu. Aber auch in diesem hochdynamischen Feld gibt es Inseln, die sich dem wohlfeilen Fortschritt beharrlich widersetzen. Und es gibt Fortschritt auf ganz traditionellen Feldern, wo man ihn nicht vermutet.
Trotz Internet bleibt das Fernsehen weltweit das wichtigste Informations- und Werbemedium. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern kommt die Anschaffung eines eigenen TV-Gerätes vor der eines Computers, und es gibt einen weltweiten Boom privater Sender. Selbst in der EU wächst der durchschnittliche tägliche Fernsehkonsum weiter an, auf 232 Minuten im Jahr 2012. Die Radionutzung nimmt in allen Altersgruppen zu, vor allem bei den jungen Zielgruppen. Laut aktuellen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse erreicht das Medium Radio am Tag 80 Prozent der Bevölkerung, und die durchschnittliche Nutzungsdauer liegt stabil bei 199 Minuten täglich.
In Subsahara-Afrika hat sich auf Basis des SMS-Standards eine Art Low-Fi-Internet etabliert. Per Pull-Funktion können Landwirte dort lokale Wetterdaten abrufen, Malaria- oder HIV-Patienten können sich durch das Senden eines Zahlencodes die Echtheit von Medikamenten bestätigen lassen. Selbst Bankgeschäfte werden dort in großem Stil über das auf SMS aufsetzende M-Pesa-System abgewickelt.
In Deutschland wächst und gedeiht unbemerkt Teletext, das Informationsfossil aus den 1970er Jahren. Über 15 Millionen Deutsche steuern täglich die Informationsseiten mit der kargen Graphik an. „Eine absurde Entwicklung: Während Zeitungen massenhaft Leser an Online-Angebote verlieren und die etablierten TV-Sender Zuschauer an digitale Wettbewerber, meldet das prähistorische Medium Teletext stabile Nutzerzahlen und neue Angebote“, schreibt die Financial Times Deutschland im November 2012 und zitiert Matthias Büchs, den Bereichsleiter Online und Teletext bei RTL, mit: „Die Deutschen lieben ihren Teletext.“ Wegen des großen Erfolges hat der Österreichische Staatssender ORF kürzlich sogar einen Service
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