Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
schreibt in seiner populärwissenschaftlichen Einführung: „Spieltheorie umgibt uns ständig. Trotz ihres Namens handelt sie nicht nur von Spielen – sie handelt von den Strategien, die wir ganz alltäglich benutzen, wenn wir mit anderen Menschen interagieren.“ Ob verbale oder nonverbale Kommunikation und Abstimmung – die Spieltheorie liefert ein Besteck, ihre Mechanismen zu beschreiben. Betrachtet man die Welt durch die Brille der Spieltheorie, begegnen einem ständig spieltheoretisch versteh- und erklärbare Konstellationen. Wer einen Hammer hat, sieht überall Nägel. Vielleicht ist es das, was Frank Schirrmacher, FAZ -Herausgeber und Serienautor apokalyptischer Bestseller, geritten hat, in seinem jüngsten Sachbuch-Thriller Ego – das Spiel des Lebens die Spieltheorie als Weltverschwörung und manipulativen Angriff auf die Psyche der Massen zu dämonisieren.
Die Wurzeln der Spieltheorie liegen in den USA der 1950er. Sie wurde von Militärstrategen und Ökonomen im Umfeld der RAND-Kooperation, einem militärstrategischen Thinktank, entwickelt, um im Kalten Krieg die Nase vorn zu haben. Soweit bewegt Schirrmacher sich auf gesichertem historischen Grund. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion jedoch sei sie – und nun beginnt seine Argumentation krude zu werden – wie ein Virus aus dem Militärlabor freigesetzt worden und habe sich im ökonomischen Betriebssystem der Gesellschaft festgesetzt. Von der Wall Street, wo einige der RAND-Wissenschaftler untergekommen sind, habe sich das Virus bis in die Algorithmen von Google und Facebook hinein verbreitet, von wo aus es unser aller Gehirne mit ökonomischer Nutzenmaximierung infiziere.
Schon bemerkenswert: In dem Moment, wo die neue Verhaltensökonomie den Homo oeconomicus systematisch demontiert, behauptet Schirrmacher, die durch die Hintertür implementierte Spieltheorie würde das Betriebssystem der Gesellschaft durchökonomisieren und uns alle zu egoistischen, seelenlosen und profitmaximierenden Zombiesmachen, zu „Nummer 2“, wie er es nennt. Dabei verkennt ererstens, dass die Maxime der Ökonomie niemals die individuelle Profitmaximierung war. Stattdessen geht es darum, knappe Ressourcen ihrer sinnvollsten Verwendung zuzuführen, das können Individuen tun, aber auch Kollektive und Gemeinschaften. Vor allem aber ignoriert er, dass die Spieltheorie keine normative Disziplin ist, sondern eine deskriptive, die ein besseres Verständnis existierender und wiederkehrender Konflikte zwischen Nationen und innerhalb der Gesellschaft anstrebt.
Zutreffend ist – Schirrmacher formuliert es als Vorwurf –, dass sie sich des Werturteils über ihren Gegenstand enthält, um ihn besser durchdringen zu können. „Unter den diversen Konflikt-Theorien“, schreibt Thomas C. Schelling zum Einstieg seiner Strategy of Conflict , „verläuft eine Haupt-Trennlinie – korrespondierend zu den verschiedenen Bedeutungen, die das Wort ‚Konflikt‘ haben kann – zwischen jenen, die Konflikt als pathologischen Zustand ansehen, dessen Ursachen es zu finden und den es zu kurieren gilt, und jenen, die Konflikt als etwas Gegebenes betrachten und das Verhalten im Konfliktfall genauer studieren wollen.“
Zutreffend ist ferner, dass die Spieltheorie allein daran interessiert ist, was Menschen tun, wenn sie rational handeln würden. Die Analyse irrationalen Verhaltens in Konfliktsituationen überlässt sie dankend der Psychologie. Schelling weiter: „Wir beschränken uns ernsthaft auf die Annahme rationalen Verhaltens – nicht nur intelligenten Verhaltens, sondern auch eines Verhaltens, das durch ein bewusstes Kalkül des eigenen Vorteils motiviert ist.“ Die natürlichen Grenzen ihres Erklärungsansatzes waren also bereits den frühen Spiel- und Konflikt-Theoretikern vollauf bewusst: „Insofern sehen wir die beschränkte Anwendbarkeit unserer Resultate. Wenn wir darauf aus sind, reales Verhalten zu verstehen, können die Ergebnisse, die wir unter diesen Bedingungen erzielen, sich entweder als gute Annäherung oder als Karikatur der Wirklichkeit entpuppen.“
Gerade das macht die Theorie aber so spannend. Nehmen wir John Nash, den im Film A Beautiful Mind als paranoid-genialen Autisten porträtierten Urvater der ökonomischen Spieltheorie. Von ihmstammt das Nash-Gleichgewicht, das Standardwerkzeug der Spieltheorie, und das zur Veranschaulichung entwickelte Gefangenendilemma – laut Schirrmacher „eine spieltheoretische Urszene von zwei Menschen, die ein
Weitere Kostenlose Bücher