Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
gleiches Schicksal teilen, aber nicht miteinander reden können, und die das Angebot bekommen, auf Kosten des anderen einen Vorteil zu bekommen.“ Weil für beide Eingesperrten der Verrat des anderen die jeweils rationale Verhaltensweise ist, zeigt sich für Schirrmacher schon hier der zynische und unmenschliche Charakter der Spieltheorie.
Man kann John Nashs Theorie der Gleichgewichte in nicht-kooperativen Spielen aber auch genau anders herum lesen und daraufhin befragen, was Menschen, Organisationen und Staaten daran hindert zu kooperieren. Man kann daraus lernen, wie genaudie Schwellen, Hürden und Fallstricke beschaffen sind. Man kann ableiten, wie die Bündel geschnürtsein müssen, damit zwei rational handelnde Rivalen in die Kooperation „hineingetrickst“ werden, wie Len Fisher es nennt. Spieltheorie ist dadurch laut Fisher „weniger Werkzeug, die Welt zu kontrollieren, vielmehr eins, das uns hilft, sie auf eine neue erkenntnisstiftende Art zu begreifen. Es ist eine Anleitung zur Entscheidungsfindung, die uns darauf stößt, was wirklich vor sich geht, kein Entscheidungsautomatismus, in den wir nur die Fakten hineinfüttern.“
Und man erkennt, wie eine Drohung gebaut sein muss, damit sie einen Konflikt gerade nicht entfacht, sondern seine Eskalation verhindert. „Strategie – in dem Sinne, wie ich sie hier verstehe –“, schreibt Thomas C. Schelling, „handelt nicht von der effizienten Ausübung von Gewalt, sondern von der Ausbeutung potenzieller Gewaltanwendung.“ Im Falle des nuklearen Wettrüstens, das die Folie für Schellings Buch bildete, hat dieser Ansatz, kann man rückblickend sagen, einigermaßen funktioniert.
Zum Stein werden
Weil der Fokus der Spiel- oder Konflikt-Theorie eben nicht auf irrationalen Feindschaften liegt, bei denen die Gegner sich hassen und gegenseitig auslöschen wollen, sondern auf potenziellen Partnern, die sich misstrauen oder unterschiedlicher Meinung sind, lauert eine Verhandlungslösung meist hinter der nächsten Ecke. Für Schelling sind Konfliktsituationen deshalb dem Wesen nach Verhandlungssituationen: Wie werden die Bündel geschnürt? Zu welchem Opfer ist man bereit? Welche Anreize setzt man? Welche Drohungen macht man?
Natürlich geht es dabei um Vorteilsnahme und die Durchsetzung eigener Interessen – aber eben nicht mittels brutaler Ausübung von Macht, sondern indem wir die Situation durch die Augen des Gegners betrachten lernen. Insofern ist die angewandte Spieltheorie ein Amalgam aus gelebtem Egoismus und praktizierter Empathie. Das gilt beim Schachspiel ebenso wie in oligopolistischen Konkurrenzsituationen in der Wirtschaft, besonders in der Politik, wo eine begrenzte Anzahl von Akteuren und Parteien um den begrenzten Kuchen der Wählergunst konkurriert – und dabei die möglichen nächsten Schritte des politischen Gegners einkalkulieren muss. Man entscheidet sich für einen Weg, eine Vorgehensweise, ein Reaktionsmuster; man entscheidet sich für eine Strategie.
Voraussetzung dafür, dass man von Strategie sprechen kann, ist jedoch, dass man sich immer auch anders entscheiden könnte, dass man überhaupt Wahlmöglichkeiten hat. Martin Luthers „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ kann man also nur insofern strategisch nennen, als wir unterstellen können, dass Luther, bei Licht betrachtet, sehr wohl auch anders gekonnt hätte, wenn er gewollt hätte.
Grundsätzlich gilt in der Spieltheorie: Je mehr Handlungsspielräume man hat, desto besser. Mit den Freiheitsgraden entfaltet sich auch die Wirksamkeit der eigenen Strategie.
Für die Kybernetik, die viele Überschneidungen mit der Spieltheorie aufweist, hat Heinz von Foerster diesen Gedanken sogar zur obersten Maxime erhoben. Sein „ethischer Imperativ“ – inAnlehnung an Immanuel Kants kategorischen – lautet: „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!“ Ziel dieser Ethik ist es, die Zahl der Freiheitsgrade für den Einzelnen und für die Gesellschaft zu erhöhen. Gerhard Schröder, der sich in seiner Laufbahn weder mit Kybernetik noch intensiv mit wissenschaftlicher Spieltheorie beschäftigt haben dürfte, dafür als „political animal“ über einen gut ausgeprägten Machtinstinkt verfügte, hat dieses Prinzip einmal frappant auf den Punkt gebracht: „Das Gute an Optionen ist, dass man sie hat.“
Es gibt allerdings eine Reihe von Situationen, in denen man sich wünschen würde, weniger Optionen zur Verfügung zu haben. Genauer: Wir
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