Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
ihren Gunsten zu beugen.
Wer es nicht glaubt, kann es ausprobieren. Die Website der New York Times wartet mit einem„Rock,paper, scissors“-Simulator auf, gegen den man am Bildschirm antreten und seine Strategie testen kann (nytimes.com/interactive/science/rock-paper-scissors.html). In der Variante „Novice“ lernt der Computer nur aus den Spielzügen, die er bei seinem menschlichen Herausforderer beobachtet. In der „Veteran“-Einstellung greift er auf die Erfahrungswerte aus über 200 000 vorausgegangenen Mustern zurück und sucht nach wiederkehrenden Mustern, um unseren nächsten Zug vorauszusagen. Schon im „Novice“-Modus wird es nach einer kurzen Lernphase schwieriger, den Computer durch unerwartete Zugfolgen zu überraschen. Im „Veteran“-Modus hat man nach kurzer Zeit keine Chance mehr. Fast deprimierend, am eigenen Leib zu erfahren, wie erwartbar menschliches Verhalten ist und wie durchschaubar der Mensch für smarte Algorithmen geworden ist.
Der Bias des Tormanns
Was Computeralgorithmen und Profispieler ausbeuten, sind die bereits beschriebenen „biases“, die die neue Verhaltensökonomie erforscht: im Gehirn hart verdrahtete Denkfehler und systematische Abweichungen vom rationalen Kalkül, das im Falle von Schnick, Schnack, Schnuck eine wirklich zufällige „mixed strategy“ wäre.
Ein Ratschlag, den Graham Walker erteilt, ist, darauf zu setzen, dass unerfahrene Spieler oft unbewusst den Zug spielen, der ihren vorausgehenden Zug geschlagen hat oder hätte: „Wenn dein Gegenüber Papier gespielt hat, wird er häufig danach Schere spielen, also spielst du Stein. Das ist eine gute Taktik nach einem Unentschieden oder, wenn dein Gegenüber sein letztes Spiel verloren hat.“ In der ökonomischen Theorie ist dieses Verhalten als „sunk cost“-Problematik bekannt: Wir treffen Fehlentscheidungen, weil wir Verlusten hinterhertrauern. Aus Frustration setzen wir alles daran, den einmal entstandenen Schaden unmittelbar wettzumachen – was zu noch größerem Schaden führt. Anstatt,was rational wäre, neunachzudenken und so zu handeln, als hätte es die Verluste niemals gegeben. Sinnlose Projekte werden weitergeführt, weil bereits so viel in sie investiert wurde. Börsenanleger werfen ihr gutes Geld dem schlechten hinterher. Auf die Spielsituation bezogen heißt das: Aus einer Niederlage entsteht die nächste, weil wir zu forciert versuchen, die Scharte auszuwetzen und dadurch berechenbar werden.
Ein weiterer Hinweis, den Graham Walker gibt, um Amateure auszutricksen, lautet: „Achte auf ‚double runs‘, sprich: denselben Zug zweimal hintereinander. Wenn das eintritt, kannst du sicher sein, beim nächsten Spiel zumindest ein Unentschieden zu erzielen.“ Denn blutige Anfänger neigen dazu, eine Serie bereits nach zwei Wiederholungen abzubrechen. Spielt ein Anfänger also zweimal Schere, wird er es kein drittes Mal tun, sondern Stein oder Papier. Wer nun selbst Papier spielt, ist auf der sicheren Seite. Walkers Erklärung: „Die Leute hassen es, vorhersehbar zu sein, und der gefühlte Inbegriff von Vorhersagbarkeit ist, dreimal hintereinander mit demselben Zug rauszukommen.“ In rein zufälligen Verteilungen sind zufällige Häufungen und vier, fünf, sechs Wiederholungen keine Seltenheit. Über längere Distanz stets alternierende Ketten bilden dagegen dieeher unwahrscheinliche Ausnahme.
Man kann das als Inkarnation des Action bias interpretieren. Die sture Wiederholung des gleichen Symbols lässt uns passiv erscheinen, berechenbar. Dem begegnen wir mit einer flatterhaften Wechselfreudigkeit, die wir für agil, flexibel und dynamisch halten. Wir zeigen, dass wir das Heftdes Handelns fest in Händen halten, indem wir das verfügbare Repertoire an Optionen beherzt ausschöpfen. Erst diese kalkulierbare Unstetigkeit macht uns wirklich zur leichten Beute.
Eine verwandte Spielsituation ist der Elfmeter beim Fußball. Auch hier geht es darum, dass zwei Spieler zeitgleich die Wahl aus einem begrenzten Set an Optionen treffen und dabei Annahmen über die Entscheidung des Gegners zugrunde legen. Auch hier existiert keine dominante Strategie wie „immer in die linke Ecke schießen“. Und auch hier ist der Action bias mit von der Partie, wie der israelische Verhaltensforscher Michael Bar-Eli herausgefunden hat. Dazu wertete er 286 Strafstöße von Welt- und Europameisterschaften sowie Champions-League-Spielen daraufhin aus, wohin der Schütze schoss, was der Torwart machte und ob der Ball
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