Die Steinernen Drachen (German Edition)
keine Schuhe. Ich wollte zu dir, hatte nur keine Ahnung, wie und wo ich dich sonst treffen könnte. Leider waren du und deine Schwester schon ewig nicht mehr im Ten Forward . Ich habe fast das Gefühl, als hätte ich euch vergrault?!“
Melanie lachte. Die ältere Frau hinter der Kasse stierte ungeniert in ihre Richtung. „Mich nicht. Was meine Schwester betrifft, dazu äußere ich mich nicht.“
„Moment! Sie war es, die mir deutlich zu verstehen gab, dass ich mich nicht um sie bemühen brauche. Und das, ehe ich Absichten in diese Richtung zeigte.“
„Vielleicht hast du ja schon davon gehört, dass Frauen manchmal Dinge sagen, aber das Gegenteil meinen?“
Er machte eine wegwerfende Bewegung.
„Zum anderen wusste Bettina, dass es zu dieser Zeit in deinem näheren Umfeld noch andere Frauen gab. Sie hatte da wohl so ihre Bedenken“, antwortete Melanie.
Ein unmissverständliches Räuspern ertönte hinter der Kasse.
Bettina , wiederholte er in Gedanken. „Ich sollte zur Sache kommen bevor du Probleme kriegst, oder ich doch noch Schuhe kaufen muss. Kannst du mir sagen, wo ich deinen Bruder finde?“
Melanie sah ihn verwundert an. Zwischen ihren Augenbrauen entstand eine senkrechte Falte. Genau wie bei ihrer Schwester! , dachte er.
„Was willst du von Stefan?“
„Ich hab’ da nur ein, zwei Fragen. Es ist wichtig!“
Melanie schüttelte ihren Kopf und der Pferdeschwanz schwang heftig hin und her. „Davon rate ich dir ab. Wenn jemand aus unserer Familie wirklich sauer auf dich ist, dann Stefan.“
„Es ist wegen Lea“, erklärte er. Die Reaktion auf den Namen erfolgte nach einigen Sekunden.
„Lea war nicht gut für meinen Bruder. Er war ihr verfallen. Das war schon schlimm genug, weil sie mit ihm spielte, wie es ihr passte. Dann kamst du und sie hat ihn abserviert. Passend für eine Kellnerin, nicht? Das brachte ihn zur Verzweiflung. Er brauchte lange, um darüber hinwegzukommen. Ich befürchte, wenn du bei ihm auftauchst, könnte das alles wieder hochkommen“, erklärte sie.
„Hat er noch Kontakt zu Lea? Ich meine, wenn man so sehr an jemand hängt, lässt man doch nichts unversucht. Weiß er, wo sie steckt?“
„Ich kann dir darauf keine Antwort geben. Er redet nicht darüber. Mit niemanden. Schlag dir das aus dem Kopf!“
Er wollte nicht locker lassen. „Ich muss es versuchen, muss erfahren, ob er was über Leas Verschwinden weiß. Wo finde ich ihn? Bitte!“
Die junge Frau presste ihre Lippen aufeinander, bis sie weiß wurden. Ihre Augen bohrten sich in die von Frank. Sekunden verstrichen. Die müde Türglocke ertönte. „Kundschaft“, murmelte er.
Melanies angespannte Züge wurden weicher, fanden ein knappes Lächeln. Dann wurde sie wieder ernst. „Er arbeitet im Druckhaus und sorgt dafür, dass du morgens deine Zeitung im Briefkasten hast. Wenn du dich beeilst, erwischst du ihn noch, bevor er zur Arbeit geht.“ Melanie nannte ihm widerwillig Straße und Hausnummer.
Die späte Nachmittagssonne fiel schräg in die Häuserzeile. Die Luft flimmerte, die Hitze im Wagen war unerträglich. Er parkte am Randstein vor der Nummer vierzehn. Ein Mehrfamilienhaus, gebaut in den frühen Siebzigern: spießiger kleiner Vorgarten, Rauputz, dunkle Fensterrahmen, von denen die Farbe abblätterte. Die Haustür war über drei Stufen zu erreichen. Er fand das Klingelschild: S. Kreutzmann . Gegenüber den anderen sah es relativ neu aus. Er wohnt noch nicht lange hier und weiß nicht, dass ich der Mann bin, der ihm seine große Liebe abspenstig machte!
Frank war unschlüssig, wusste nicht, was er Stefan sagen sollte, aber er wollte Antworten und das Geld, also klingelte er.
Die Gegensprechanlage blieb stumm. Er sah auf die Uhr. In einer Stunde musste er in der Bar sein. Auch nach dem zweiten Klingeln tat sich nichts. Er ging die Treppe hinunter und blickte am Haus hoch. Kann man jemanden erkennen, auch wenn man ihn nie zuvor gesehen hat?
Er beschloss es auszuprobieren und fuhr ins Industriegebiet Ameisbühl. Das Druckhaus, ein moderner Backsteinbau mit Stahl- und Glaselementen, überragte alle Gebäude der Umgebung. Er parkte seinen Volvo auf dem Besucherparkplatz, so dass er den Haupteingang im Auge behielt, in der Hoffnung, dass dieser nicht nur von Kunden, sondern auch von Mitarbeitern benutzt wurde. Er versuchte sich vorzustellen, wie Stefan Kreutzmann aussah. Bestand eine Ähnlichkeit zwischen ihm und den Zwillingen? Welche Aussichten hatte er, den Bruder zu erkennen? Stefan musste in
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