Die Steinernen Drachen (German Edition)
sah in ihre Augen und sein betrübter Gesichtsausdruck wandelte sich binnen einer Nanosekunde ins Gegenteil. „Lea!“
„Du wolltest gehen, ohne dich zu verabschieden?“, fragte sie gespielt beleidigt.
„Nein! Natürlich nicht! Ich dachte nur, du hast keine Zeit“, entschuldigte er sich.
Sie sah sich um, blickte zu der Tür, aus der sie gekommen war. „Hab’ ich auch nicht und wenn mich die Chefin erwischt, dann gibt es Ärger. Sie ist sehr streng. Aber ich wollte dir schnell Hallo sagen.“
„Das ist lieb! Ich meine auch, dass du einen Anschiss riskierst, nur um mit mir zu sprechen. Womit verdiene ich so viel Aufmerksamkeit?“
Sie lächelte. Ihr vollendet geschwungener Mund machte ihn verrückt. „Musst du arbeiten?“
„Ja, ich gehe gleich rüber. Sonntags ist nicht viel los. Also, wenn du nach deiner Schicht nichts vorhast, ... es würde mich freuen, ... falls du noch Lust hast, schau doch vorbei“, stammelte er. Sie auf diese Art zu überreden geht gerade gänzlich
schief , beschimpfte er sich im Stillen.
„Heute nicht! Aber Morgen habe ich frei. Holst du mich hier ab?“
Er fiel aus allen Wolken. Montags war auch sein freier Tag. Sie konnten einen schönen Abend miteinander verbringen. Begeistert stimmte er zu und schlug ihr vor, sie zum Essen einzuladen.
„Ich muss wieder rein“, sagte sie und sah sich nervös um.
„Geh’ nur. Und bis morgen! Ich freu mich!“
Irimi-Nage in der Tiefgarage
27. Juni 2003
Ein Wagen rauschte an ihm vorbei und in die Tiefgarage der Druckerei. Er sah den Fahrer nur kurz, trotzdem wusste er, dass es Kreutzmann war. Woran er ihn erkannte, konnte er sich nicht erklären. Intuition oder Instinkt oder beides? Er stieg aus seinem Volvo und lief die Einfahrt der Tiefgarage hinunter. Es gab nur ein Parkdeck und er entdeckte den Mann, der gerade seinen silberfarbenen 190er Mercedes abschloss. Stefan Kreutzmann war kleiner als er, wirkte kompakt und kräftig. Er trug Jeans und ein dunkles T-Shirt, das unter den Achseln durchgeschwitzt war. Sein Haar war dunkelblond und sah aus, als hätte man es aus ziemlicher Entfernung auf seinen Kopf geschmissen. Kreutzmann hatte eine breite Nase und dasselbe runde Gesicht wie seine Schwestern, allerdings wesentlich unattraktiver: unrasiert, aufgequollen und verhärmt. Kein Typ mit dem man sich anlegte.
Der Drucker nahm keine Notiz von ihm und ging mit wiegendem Schritt auf eine blaue Stahltür zu. „Kreutzmann!“, rief er, immer noch auf der Zufahrt stehend. Erschrocken drehte sich der Mann um. Im Gegenlicht versuchte er zu erkennen, wer nach ihm rief.
Frank ging langsam die Rampe hinab. In der Tiefgarage war es angenehm kühl. Im hinteren Bereich flackerte ein Neonlicht. Kreutzmann nahm eine abwehrende Haltung ein.
„Stefan Kreutzmann?“, fragte er, als er bis auf drei Meter herangetreten war. Die Haare seiner Unterarme hatten sich aufgerichtet.
„Ja! Und?“, stieß Kreutzmann hervor. Seine Stimme hörte sich wie das Bellen eines Hundes an.
Frank wusste nicht, wie er anfangen sollte. Der Mann war auf dem Sprung zur Arbeit und hatte sicher keine Zeit. „Ich muss kurz mit Ihnen reden! Es geht um Lea“, platzte er heraus
Im kalten Licht der Deckenbeleuchtung entfärbte sich das Gesicht seines Gegenübers und erinnerte an einen grauen Tonklumpen. „Was? Wer sind Sie?“, fragte Kreutzmann und seine Stimme klang mit einem Mal leise und spröde, so als riebe der Wind trockene Blätter aneinander.
„Grabenstein, Frank Grabenstein.“
Kreutzmann nickte mechanisch. „Sie sind sicher der Letzte, mit dem ich über Lea reden werde. Lassen Sie mich in Ruhe!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging auf die Tür zu.
„Lea ist in Gefahr! Sie könnten ihr möglicherweise helfen“, versuchte er ihn umzustimmen. In Gedanken konstruierte er sich schon eine fadenscheinige Geschichte und hoffte, dass Kreutzmann anbeißen würde.
„Ist mir scheißegal, was aus der Schlampe wird!“, brüllte Kreutzmann, der gerade den Ausgang erreichte. Der Schrei brach sich an den Betonstreben über ihnen.
Er folgte dem Drucker. „Das kann ich nicht glauben. Sie haben sie geliebt.“
Kreutzmann wirbelte herum, er fuhr zusammen und hob abwehrend die Hände. „Klar habe ich sie geliebt. Genau wie sie mich. Bis zu dem Tag, als sie Ihnen über den Weg lief. Sie haben mir Lea weggenommen und dafür hasse ich Sie. Also verschwinden Sie, bevor ich mich vergesse!“ Speichel tropfte auf sein Metallica-T-Shirt. Sein Gesicht war
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