Die Steinernen Drachen (German Edition)
Jetzt, wo Sie wissen, dass das Opfer für die Drachen auf dem Weg ist“, maulte er. Er fühlte sich wie ein auslaufender Kiesellaster. Seine Kraft rieselte nur so aus ihm heraus. Der Capitaine machte eine beleidigte Miene.
„Wir sollten jetzt nicht streiten. Xieng hat Recht“, mischte sich der deutsche Polizeibeamte ein. „Ohne adäquate Ausrüstung setze ich keinen Schritt in dieses grüne Dickicht. Außerdem ist es bereits stockdunkel. Wir wollen nicht nur durch einen Urwald laufen, sondern gleichzeitig über Berge steigen. Ich habe keine Lust in eine Schlucht zu stürzen und hinterher von einem Tiger gefressen zu werden. Und wenn Sie sich sehen würden ... Ich habe Bedenken, ob Sie es überhaupt von hier bis zum Ende der Lichtung schaffen.“
„Ich kann jetzt nicht aufgeben, egal wie ich mich fühle oder aussehe. Der Doktor kann mich bestimmt noch etwas aufpeppen.“
„Soweit ich das sehe, kann Pauls keine Wunder vollbringen“, erwiderte Meinhans und ließ sich neben ihn auf einen Stuhl fallen. Man sah ihm an, dass auch er am Ende war. Durch die offenen Fenster blies ein feuchtwarmer Wind.
„Sie haben gesagt, Kham lässt die Straßen überwachen. Gibt es sonst noch Infrastruktur in diesem Gebirge?“, fragte Frank.
„Weiter nördlich verläuft eine Eisenbahntrasse bis in die Berge. Ich weiß nicht, wo sie endet. Überdies wird sie nicht mehr genutzt. Parallel dazu verläuft eine Straße bis an die chinesische Grenze. Die einzige, meines Wissens. Um dorthin zu kommen, müssten wir den halben Gebirgszug umwandern. Weitaus beschwerlicher, als direkt in die Berge zu gehen, nur um dort der Miliz in die Arme zu laufen. Vergessen Sie das! Es gibt ein paar Wege bis zu den Reisfeldern an den südlichen Berghängen. Mühsame Fußwege, die aus diesem Tal hinaufführen, aber besser als alles andere“, erklärte der Laote. „Abgesehen von ein paar Reisbauern und ihren Ochsen, gibt es für mein Volk keinen Anlass, dorthin zu gehen. Warum sollten wir befestigte Straßen bauen?“
Diese Logik blieb ohne Kommentar. Die nun herrschende Resignation am Tisch wurde von einer Schwester gestört. „Sie können jetzt etwas Essen und danach zeige ich Ihnen, wo Sie schlafen“, sagte sie in schwer verständlichem Englisch.
„Das sollten wir annehmen“, brummte der Kommissar.
Manchmal kommen sie wieder
13. Juli 2003
„Sie haben Fieber“, sagte die Krankenschwester, die ihm und seinen Begleitern am Vorabend das Essen gebracht hatte. Er fühlte einen feuchten, kühlen Lappen auf seiner Stirn. Es fiel ihm schwer, die Augen offen zu halten. Immer wieder senkten sich seine Lider und das Bild der Laotin, die sich über ihn beugte, verschwamm in einem grauen Nebel. Irgendwo an der Decke eierte müde ein Ventilator. Ihm war, als hätte ihn das Quieken der verzogenen Drehachse die ganze Nacht hindurch begleitet. Die Schwester gab ihm zu trinken. Das erdig schmeckende Wasser stillte seinen unbändigen Durst nur für Sekunden. Er fragte sich, wie spät es war. Aus dem Augenwinkel sah er den Schimmer einer zarten Morgenröte über dem Bergrücken, den er von seinem Fenster aus erblickte. Trotz des Fiebers schien eine traumlose Nacht hinter ihm zu liegen. Keine wahnhaften Fantasien, die ihn heimgesucht hatten, keine dunklen Träume, die morbide Schreckenszenarien orakelten. Oder nur keine Erinnerung daran? Hatte er nur alles vergessen, was ihm an Grausamkeit in der Nacht widerfahren war? All das, was er durchgemacht hatte? Vielleicht liege ich im Sterben und habe mich gerade so bis in den neuen Tag hineingerettet? Zumindest vermittelte ihm das sein Gefühl. Das Laken, auf dem er lag, war nass und klebte unangenehm an seinem Rücken. Links und rechts der Wirbelsäule kauerte ein tobender Schmerz, der sich in Wellen über den Nacken bis in den Kopf ausbreitete. Seine Kniegelenke fühlten sich bei jeder Bewegung an, als wären sie mit Glassplitter gefüllt.
Die Schwester bemerkte seinen Blick zum Fenster und die Unruhe in seinen Augen. „Gleich sechs Uhr“, klärte sie ihn auf. „Sie sollten noch etwas schlafen!“
Gegen den sanften Widerstand ihrer Hand, die sie ihm auf die Brust gelegt hatte, richtete er sich auf. Er hatte keine Zeit mehr zum Schlafen, musste die Steinernen Drachen bezwingen, um die Welt zu retten - oder wenigstens sein Kind. Lea hatte jetzt einen Tag Vorsprung.
Frank wusste nicht, welche Strecke man innerhalb 24 Stunden im Dschungel zurücklegen konnte, noch dazu, wenn man ein Baby mitschleppte.
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