Die Steinernen Drachen (German Edition)
buddhistischen Mönchs in einem Kloster in Myanmar. Er behauptete darin, dass Taizu eine Armee von 100.000 Mann in Richtung Lan Xang geschickt hatte, um Samsenthai zu unterwerfen. Ich legte dieses Dokument mehreren Historikern vor, doch keiner glaubte an die Echtheit dieser Aufzeichnung. Man hielt sie für eine erfundene Erzählung oder für eine Fälschung. Meine Recherchen hingegen haben dies nicht bestätigt. Für mich war das seltene Dokument echt und nicht fiktiver Natur. Die europäischen Koryphäen auf diesem Gebiet hielten die historische Schrift, selbst nach der Radiokarbon-Prüfung, immer noch nicht für glaubwürdig, obwohl der Test das wahre Alter des Schriftstücks bestätigt hat. Die Begründung war lächerlich und fadenscheinig. Ein geschichtlich so bedeutendes Ereignis wie ein Krieg zwischen China und Lan Xang um das 14. Jahrhundert herum, wäre von den namhaften Chronisten dieser Zeit niemals unerwähnt geblieben.
Meinem Einwand, dass beide Herrscher möglicherweise unter Androhung schlimmster Folter veranlasst haben, dass niemand darüber berichten soll, schenkte man kein Gehör. Dabei war es die einzige logische Erklärung. Kaiser Taizu und auch dessen Nachfolger wollte die Schmach einer Niederlage gegen das kleine harmlose Land im Süden nicht in den Geschichtsbüchern stehen haben. Und Samsenthai wollte weiterhin als der friedliche Herrscher gelten.“
„Vielleicht wollte man etwas anderes verbergen“, flüsterte er. Die Asiatin sah ihn fragend an. „Worauf wollen Sie hinaus?“
Er schüttelte den Kopf. „Nichts, erzählen Sie bitte weiter“, forderte er sie auf. Im Moment fühlte er sich nicht dazu bereit, die Eingebung, die gerade an die Oberfläche seines Bewusstseins drang, weiterzuverfolgen. Deshalb ließ er den unfertigen Gedanken wieder in die unergründlichen Tiefen seiner archaischen Sinne hinabsinken.
Doktor Ngo versuchte den Faden wiederaufzunehmen. „Den echten Grund, warum beide Herrscher den potenziellen Krieg vertuscht haben, werden wir wahrscheinlich nicht mehr erfahren. Fakt ist aber, dass nur ein namenloser Mönch in einem einsamen Kloster es wagte, dieses Ereignis festzuhalten, was auch immer ihn dazu bewog. Die asiatischen Wissenschaftler, die ich dazu befragt habe, wollten nichts davon wissen, verweigern mir seither
jeden Kontakt. Es scheint, dass niemand außer mir an der Aufklärung dieser geschichtlichen Unstimmigkeit interessiert ist. Sicher verstehen Sie, dass ich es nicht dabei belassen kann. Schließlich bin ich Wissenschaftlerin. Ich habe eine These aufgestellt und nun ist es an mir, sie zu beweisen: Wie gelang es Samsenthai der Gefahr aus dem Norden zu trotzen? Der Mönch behauptete, dass die Chinesen einen Vorstoß nach Lan Xang gewagt hatten, legte sich aber leider auf kein genaues Datum fest. Doch aufgrund parallel erwähnter und belegter Ereignisse in seiner Niederschrift kann man annehmen, dass es um die Jahrhundertwende war. Was war damals um 1400 an der Nordgrenze des Reichs der Millionen Elefanten passiert? Schreckten Samsenthais 30.000 waffenfähige Männer, die zahlenmäßig weit überlegenen Chinesen ab, noch ehe sie einen Fuß in dessen Land setzen konnten? Kam es je zu einem Kampf oder war dem kriegerischen Akt diplomatisch Einhalt geboten worden, ehe daraus ein Gemetzel wurde? Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt, doch ich hoffe, sie zu finden. Zu meinem Bedauern konnte ich kein Hintergrundmaterial über den Chronisten finden, der es wagte, über diesen vermeintlichen Krieg zwischen Laos und China zu berichten. Selbst in dem immer noch existierenden Kloster konnte oder wollte man mir keine Antworten geben. Dieser Mönch scheint selbst heute noch keinen guten Ruf bei seinen Brüdern zu haben, weil er sich damals über ein kaiserliches Dekret hinweggesetzt hatte. Wäre seine Chronik bekannt geworden, hätte er damit das Kloster in Gefahr gebracht. Mich wundert, dass man die Dokumente dieses mutigen Mannes nicht nachträglich vernichtet hat.“
„Wie haben Sie diese Rarität überhaupt entdeckt? So wie ich es sehe, hielt man diese Niederschrift 600 Jahre geheim.“
„Sehen Sie, schon die Umstände, die vor drei Jahren zu dieser Entdeckung führten, waren mysteriös. Irgendwann habe ich aufgehört, sie zu hinterfragen. Ich war auf einer Exkursion mit zehn Studenten. Unser Ausgangspunkt war damals Houei Sai in Laos. Von dort brachen wir nach Nordwesten auf, über die Grenze nach Myanmar, um das abgelegene buddhistische Kloster zu
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