Die Steinernen Drachen (German Edition)
Zucker. Aber er brachte nur eine halbe Tasse hinunter. Sein rebellierender Magen hielt ihn davon ab, den Rest zu trinken. Stattdessen ging er unter die Dusche. Den Versuch sich zu rasieren, gab er wieder auf, weil seine Hand zu arg zitterte. Er zog sich an und zwang sich dazu eine Scheibe Knäckebrot zu essen. Dann verließ er seine Wohnung.
Der Tag war sonnig, aber auch angenehm frisch. Ein leichter, kühler Westwind half ihm dabei, seinen Kopf zu klären. Frank ging die Straße hinunter bis zur Bushaltestelle. Der Restalkohol in seinem Blut könnte immer noch zum Führerscheinentzug reichen. In unvorhersehbaren Abständen blitzte Leas Gesicht vor seinen Augen auf, ein Phänomen, das einer Folter gleichkam. Sein Magen krampfte sich jedes Mal zusammen, wenn ihr Abbild vor seiner Netzhaut flimmerte. Vehement versuchte er sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Doch so sehr er sich auch bemühte, immer wieder flutete sein Gedächtnis ihr Bild an die Oberfläche zurück. Es war Zeit, etwas gegen die Leere und gegen das schreckliche Gefühl in seinem Bauch zu tun. Ihm war klar, dass er unbedingt mit ihr sprechen und versuchen musste, alles wieder gerade zu biegen, sonst würde er verrückt werden. Momentan konnte er sich nicht vorstellen zu überleben, sollte er sie tatsächlich verlieren.
Der Bus kam nach langen zehn Minuten. Mittlerweile war ihm kalt und er ärgerte sich, dass er keine Jacke mitgenommen hatte. Der Sommer war vorbei. Beim Busfahrer löste er einen Fahrschein ins Zentrum und setzte sich in die letzte Reihe. Das ruckartige Anfahren des Busses förderte beinah seinen Mageninhalt zu Tage. Mit viel Körperbeherrschung konnte er verhindern, dass es zum Äußersten kam. Trotzdem wurden die fünf Minuten Fahrt in die Stadt zur Tortur und er war froh, als er aus dem Bus springen konnte. An der Luft und ohne das Geruckel fühlte er sich sofort besser. Jetzt bekam er sogar Hunger, überlegte, wann er zuletzt feste Nahrung zu sich genommen hatte. Abgesehen von der Scheibe Knäckebrot, war dies über 24 Stunden her.
Unschlüssig sah er die Bahnhofsstraße hoch. Sollte er chinesisch Essen gehen? Bei dem Gedanken daran kam die Übelkeit zurück. Wobei er nicht wusste, ob es an den Speisen selbst lag, oder weil Lea ihn womöglich ignorieren würde, wenn er im Mandarin auftauchte. Er wollte unbedingt mit ihr sprechen und keinesfalls warten, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war, zumal er ebenfalls in die Bar musste, was ein Gespräch noch länger hinauszögern würde. Und er konnte Olaf nicht noch mal einen Krankentag aus den Rippen leiern. Die einzige Alternative war, sie anzurufen, aber das hatte er schon ausgereizt. Wollte er sich der Willkür der Chinesen aussetzen und wieder ihr Spiel mit ihm treiben lassen? Würden sie Lea ans Telefon holen? Immer noch stand er an der dicht befahrenen Kreuzung am Alten Postplatz , als er die Telefonnummer des Restaurants in sein Handy tippte. Als sich jemand meldete, glaubte er, die Matriarchin am Telefon zu haben. Ohne Umschweife verlangte er nach Lea und hörte, wie der Hörer hart beiseite gelegt wurde. Du weißt, wer da anruft!
Keine fünf Sekunden später war Lea am Apparat. „Was willst du?“, fragte sie scharf. Ihr Tonfall war wie ein Tritt in den Unterleib.
„Lea, bitte. Wir müssen reden ... Ich liebe dich!“
Ihre Stimme klang etwas sanfter, als sie antwortete: „Nicht heute, Frank.“
„Dann morgen, bitte. Morgen haben wir Zeit. Du hast deinen freien Tag. Bitte!“
„Ich überleg es mir und ruf dich an. Mach’s gut.“ Damit trennte sie die Verbindung.
Mach’s gut. Was sollte das? Ihm wurde schwummrig und er geriet ins Wanken. Sein linker Fuß rutschte unkontrolliert an der Bordsteinkante ab und er taumelte auf die Fahrbahn. Mach’s gut.
Das eindringliche Quietschen von Reifen drang wie durch Watte in sein Ohr. Aus dem Augenwinkel heraus sah er einen schwarzen Schatten. Instinktiv warf er sich zurück auf den Bürgersteig und schlug unsanft auf. Eine Hupe ertönte und irgendwer verfluchte laut einen besoffenen Penner. Er drehte seinen Kopf von der Straße weg und blickte auf ein paar Schuhe, die schnell an ihm vorbei liefen. Mühsam rappelte er sich auf, schleppte sich zurück zum Bushäuschen und ließ sich schwer auf die Bank fallen.
Er war nicht sicher, ob das gerade wirklich passiert war. Mit ungelenken Bewegungen streifte er den Straßenschmutz von seiner Jeans. Was hat Lea gesagt? Ihm war, als wäre er soeben aus einem Traum erwacht. Er erinnerte
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