Die Steinernen Drachen (German Edition)
sich nur an die letzte Sequenz, an das, was geschah, kurz bevor er hoch geschreckt war. Mach’s gut!
Drei tiefe Atemzüge und er bekam das Zittern unter Kontrolle. Erst jetzt bemerkte er, dass die Leute, die auf ihre Busse warteten, ihn neugierig anstarrten. Fluchtartig verließ er die Haltestelle und rannte über die Straße. Die Kopfschmerztabletten begannen zu wirken. Die Tatsache, dass sein Schädel nicht mehr zu zerspringen drohte und dass er den blöd glotzenden Passanten entkommen war, stimmte ihn optimistisch. Lea ruft mich morgen an!
Zwischen den Häuserzeilen der Altstadt war es wärmer als auf dem zugigen Hauptverkehrsknoten am Postplatz. Die Spätsommersonne ließ die Fachwerkfassaden erstrahlen und erhellte die Gesichter der Menschen, die ihm entgegenkamen. Er steuerte das italienische Café am Eingang der Fußgängerzone an und setzte sich an einen der Metalltische, die draußen in der Sonne standen. Innerhalb einer Minute besserte sich sein Zustand schlagartig, er verspürte Hunger und neuen Lebenswillen. Er vergaß den schrecklichen Morgen, die Übelkeit und die Migräne, vergaß, dass er beinahe überfahren worden war und er verdrängte Leas letzte, beunruhigende Worte aus seinem Gedächtnis. Nachdem er einen Cappuccino und ein Schinkenbaguette bestellt hatte, malte er sich aus, wie er den morgigen Tag mit ihr verbringen würde. Nicht im Mindesten ahnte er, wie sehr er sich täuschte.
Das Ende einer langen Nacht
5. Juli 2003
Er wusste nicht, ob er vor Erschöpfung eingedöst war oder ihn der Schock kurzfristig seines Bewusstseins beraubt hatte. Das aufdringliche Heulen von nahenden Sirenen brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Seine Sachen waren nass und schlammig, wie in dem Moment, als er sich aus dem Wasser gezogen hatte. Seine rechte Seite schmerzte bei jeder Bewegung, trotzdem schaffte er es, auf die Beine zu kommen. Erschöpft lehnte er sich gegen die Betonmauer, in der die Hitze des Tages gespeichert war. Das Gejaule der Sirenen war nun nahe und Frank wusste, dass er keine Zeit mehr hatte. Im Mondbeschienenen Halbdunkel tastete er sich an der Mauer bis zu der Stelle an der diese in eine dicht bewachsene Böschung überging, die steil zum Fluss abfiel. Sträucher streckten ihm ihre dornigen Äste entgegen. Er hatte keine Ahnung, wie er wieder auf die Straße zurückkommen sollte, ohne dass ihn die Polizei bemerkte. Die Alternative, durch den Fluss auf die Insel zu schwimmen und von dort auf die Brücke zu gelangen, war ihm zuwider. In der Dunkelheit erkannte er nicht, wie das Ufer auf der anderen Seite beschaffen war, wusste aber aus seiner Erinnerung, dass es ebenfalls zugewachsen war. Deshalb entschied er sich dafür, durch die Sträucher auf dieser Seite der Rems nach oben zu kommen und kroch unter das tief hängende Gestrüpp. Sofort verhakten sich Dornen in seinem Hemd, stachen durch den dünnen Stoff in seine Haut und hinterließen Striemen. Das Geäst rupfte an seinem nassen Haar und kratzte über seine Wangen. Der Untergrund war wegen der langen Trockenheit hart wie Beton und bot kaum Halt. Er war gezwungen, sich an stacheligen Ästen hochzuziehen, die seine Handflächen blutig rissen. Als er endlich oben war, konnte er es selbst nicht glauben. Schwer atmend blieb er im Gebüsch liegen. Es stank nach Fäulnis und Hundescheiße.
Knapp achtzig Meter die Straße hinunter tauchte ein Blaulicht das durchbrochene Geländer und seine Umgebung, in eine surreale Welt. Der warme Wind trug Wortfetzen in seine Richtung. Über die Remsbrücke näherten sich weitere Einsatzfahrzeuge mit viel Brimborium. Erste Schaulustige in verwaschenen Schlafanzügen, Feinrippunterhosen und Nachthemden strömten schlaftrunken an die Unfallstelle und bildeten einen bizarr anmutenden Halbkreis entlang eines gelben Absperrbandes. Die rasch positionierten Strahler der Einsatzfahrzeuge beleuchteten aufgeregt gestikulierende Gestalten, inmitten des isolierten Areals. Uniformierte begannen mit der Befragung von Zeugen, während die eingetroffene Feuerwehr mit einem starken Scheinwerfer den Fluss ableuchtete. Die tanzenden Blaulichter warfen monströse Schatten an die Häuserwände und gaben den aus dem Schlaf gerissenen Menschen das Aussehen von riesenhaften Insekten.
Frank befreite sich, so leise es ging, aus der Anpflanzung und stahl sich davon. Die großen Kastanienbäume entlang der Uferpromenade warfen einen schützenden Schatten über den Flüchtenden. Als er sicher war, weit genug vom
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