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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Spur; ich hatte auch keinerlei Hoffnung gehegt, dass sich die Situation ändern würde, oder nur in der Einsamkeit meines Schlafzimmers, wenn ich auf die Bäume schaute, fern von ihm, insgeheim, wie jemand, der sich seinen Hirngespinsten hingibt, wenn ihn der Schlaf allmählich übermannt, jeder hat ein Recht darauf, sich das Unmögliche vorzustellen, wenn man endlich vom Wachen forttreibt, jawohl, das hat man, wenn der Tag zu Ende geht. Es verstimmte mich, dass er mich hineingezogen hatte, das hätte nicht sein müssen; er hatte es bestimmt nicht arglos getan, eine Absicht steckte dahinter, es war ihm nicht bloß herausgerutscht. Wieder überfiel mich der Drang, aufzustehen und wegzugehen, ein für alle Mal diese geliebte und gefürchtete Wohnung zu verlassen und nicht zurückzukehren; aber ich wusste jetzt, dass ich nicht gehen würde, bis er zum Ende gekommen war, bis er mir seine ganze Wahrheit oder Lüge erzählt hatte oder Wahrheit und Lüge, beides zusammen, noch nicht. Díaz-Varela bemerkte meine Röte oder Unruhe, was es auch war, denn schnell fügte er hinzu, als wollte er beschwichtigen: »Aufgepasst, ich deute nicht an, du wärst sterblich verliebt in mich, mir bedingungslos ergeben oder ich wäre dir eine Freude, nichts dergleichen. So viel bilde ich mir nicht ein. Ich weiß wohl, dass es so wild nicht ist, dass du weit davon entfernt bist und man das, was du seit kurzem für mich empfindest, nicht mit dem vergleichen kann, was ich seit Jahren für Luisa empfinde. Ich weiß, ich bin nur ein Zeitvertreib, ich mache dir Freude. Wie du mir, da besteht doch kaum ein Unterschied, nicht wahr? Ich habe es nur als Beweis dafür angeführt, dass selbst die flüchtigste, leichteste Vernarrtheit der Ursachen entbehrt. Wie erst das, was sehr viel mehr ist, unendlich viel mehr.«

Ich schwieg länger, als mir lieb war. Wusste nicht, was antworten, und diesmal hatte er eine Pause gemacht, als wollte er mich zum Reden ermuntern. In wenigen Sätzen hatte Díaz-Varela meine Gefühle herabgewürdigt, die seinen ausgesprochen und mir einen kleinen Stachel hineingetrieben, überflüssig, da ich bereits im Bilde war, ohne dass er es so eindeutig hätte formulieren müssen, zumindest nicht so verletzend wie eben. So dumm sie auch sein mochten, wie im Grunde alle Gefühle, wenn man sie beschreibt, erklärt oder einfach nur zum Ausdruck bringt, er hatte meine gerade weit unter die Qualität der seinen gestellt, die er für jemand anderen empfand, gar nicht zu vergleichen. Was wusste er von mir, so verschwiegen und besonnen, wie ich immer gewesen war? Von vornherein bezwungen, ohne jedes Streben, zu Wettbewerb und Kampf so wenig oder gar nicht bereit? Selbstverständlich war ich nicht fähig, einen Mord zu planen und in Auftrag zu geben, aber wer weiß, ob ich es später gewesen wäre, wenn sich unsere Beziehung jahrelang in ihrem jetzigen Zustand eingekapselt hätte oder eher in dem, der bis vor zwei Wochen geherrscht hatte, das Gespräch mit Ruibérriz hatte alles zum Einstürzen gebracht oder vielmehr, dass ich es mit angehört hatte. Hätte ich sie nicht belauscht, hätte Díaz-Varela womöglich ewig auf Luisas langsame Erholung, auf die von ihm prophezeite Verliebtheit gewartet, hätte mich in der Zwischenzeit nicht durch andere ersetzt, nicht auf mich verzichtet, und ich hätte mich womöglich nicht entfernt, sondern ihn unter den gleichen Bedingungen weiterhin gesehen. Wer wäre dann frei davon, allmählich stärker zu lieben, ungeduldig zu werden, sich nicht mehr abzufinden, zu spüren, dass er sich durch das unveränderte Fortschreiten der Monate und Jahre, allein durch die sich anhäufende Zeit Rechte erworben hat, als könnte man etwas so Belangloses, Neutrales wie die Aufeinanderfolge der Tage dem als Verdienst anrechnen, der sie erlebt, oder vielleicht dem, der ausharrt, ohne abzulassen oder aufzugeben? Wer nichts erhoffte, wird am Ende fordernd, wer ergeben und bescheiden ankam, wird ein Tyrann und Bilderstürmer, wer vom geliebten Menschen ein Lächeln, Aufmerksamkeit und Küsse erbettelte, lässt sich bitten, wird stolz und geizt nun selbst damit gegenüber dem Menschen, den ihm allein das Nieseln der Zeit unterworfen hat. Der Lauf der Zeit kann in jedem Moment einen Sturm entfachen, ihn zusammenballen, auch wenn anfangs kein noch so winziges Wölkchen am Horizont zu sehen war. Man weiß nicht, was die Zeit mit ihren feinen Schichten, die sich untrennbar übereinanderlegen, mit uns anstellen, in was sie uns

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