Die sterblich Verliebten
hatte, warum und wie, oder was ich seinem Glauben nach glaubte, und er lag richtig dabei. Doch auch wenn es mich nicht interessiert hätte, ich hätte ihm endlos zugehört, zugehört und ihn angeschaut. Er schaltete eine weitere Lampe ein, die neben ihm stand (manchmal setzte er sich zum Lesen in diesen Sessel), es war inzwischen vollkommen dunkel geworden, und das bisherige Licht war nicht mehr ausreichend. Ich sah ihn jetzt besser, sah seine langen Wimpern, seinen Blick, leicht verträumt, auch jetzt noch. Seiner Miene nach war er weder besorgt noch aufgewühlt durch das, was er erzählte. Momentan fiel es ihm nicht schwer. Ich musste mir in Erinnerung rufen, wie verhasst mir seine dominante Ruhe bei solchen Gelegenheiten immer gewesen war, denn jetzt war sie es mir ganz und gar nicht. »Man weiß, dass man der fraglichen Person bedingungslos ergeben ist«, fuhr er fort, »dass man ihr helfen, sie in allem unterstützen wird und sei es ein furchtbares Vorhaben (jemanden umbringen, zum Beispiel, man denkt dann, dass sie ihre Gründe hat oder keine Wahl), dass man für sie tut, was anliegt. Solche Personen machen einem nicht bloß Freude im vornehmsten Sinn des Wortes; sie sind einem eine Freude, was ein Unterschied ist, weit stärker, dauerhafter. Wie wir alle wissen, hat diese Ergebenheit kaum etwas mit Vernunft zu tun, nicht einmal mit irgendwelchen Ursachen. In der Tat seltsam bei einer so mächtigen Wirkung, und gewöhnlich gibt es keine Ursachen oder keine benennbaren. Mir scheint, eine nicht geringe Rolle spielt dabei der Entschluss, der willkürliche Entschluss … Aber gut, das ist eine andere Geschichte.« Wieder hatte er zu einem Vortrag ansetzen wollen, verbot es sich jedoch. Alles in allem versuchte er, auf den Punkt zu kommen, und mir schien, wenn er dennoch so weitschweifig redete, dann nicht widerwillig und zwangsläufig, sondern weil er ein Ziel damit verfolgte, vielleicht sollte ich eingewickelt, an die Fakten gewöhnt werden. Ab und an stutzte ich und dachte: Moment, worüber wir hier reden, ist ein Mord, das ist unfassbar; und ich höre aufmerksam zu, anstatt ihn an einem Baum aufzuhängen. Doch gleich kam mir Athos’ Antwort an d’Artagnan in den Sinn, als dieser das Gleiche ausgerufen hatte: ›Ja, ein Mord, mehr nicht.‹ Und ich dachte immer weniger daran. »Kaum jemand kann auf diese Frage antworten, die sich die anderen sehr wohl stellen: ›Weshalb hat er sich wohl in sie verliebt? Was findet er an ihr?‹ Vor allem, wenn es jemand ist, den man für unausstehlich hält, was auf Luisa nicht zutrifft, wie ich glaube; aber gut, es ist nicht an mir, das zu beurteilen, aus dem eben genannten Grund. Nehmen wir dich als Beispiel, María, nicht einmal du könntest beantworten, weshalb du dich während dieser Zeit in mich vernarrt hast, mit all meinen Fehlern und im Wissen, dass mein wahres Interesse von Anfang an woanders lag, ich seit langem schon ein unverzichtbares Ziel hatte und es keine Möglichkeit gab, dass du und ich weiter gehen würden, als wir gegangen sind. Du könntest es nicht, meine ich, brächtest höchstens eine Handvoll schwammiger, kaum glanzvoller Begriffe hervor, willkürlich und ebenso zweifelhaft wie unzweifelhaft: unzweifelhaft für dich (wer wagte es, dir zu widersprechen?), zweifelhaft für andere.« Es stimmt, ich könnte es nicht, dachte ich. Wie eine Idiotin. Was sollte ich schon sagen, dass es mir gefiel, ihn anzuschauen, zu küssen, mit ihm ins Bett zu gehen, samt der Beklemmung, nicht zu wissen, ob es geschehen würde, ihm zuzuhören? Ja, das sind idiotische Gründe, die niemanden überzeugen oder zumindest in den Ohren dessen so klingen, der nicht das Gleiche fühlt oder in seinem Leben dergleichen nicht empfunden hat. Es sind nicht einmal Gründe, wie Javier gesagt hat, sie kommen wohl am ehesten einem Glaubensbekenntnis nahe; obwohl sie vielleicht tatsächlich die Ursachen sind. Und ihre Wirkung ist mächtig, das stimmt. Unüberwindlich. Womöglich war ich leicht errötet oder hatte mich unbehaglich, beschämt auf dem Sofa zurechtgesetzt. Es ärgerte mich, dass er direkt auf mich angespielt, auf meine Gefühle verwiesen hatte, während ich in dem Punkt immer diskret und wortkarg gewesen war, nie hatte ich ihn mit Bitten oder Erklärungen belästigt, mit subtilen Anspielungen, die ihm einen Beweis seiner Zuneigung hätten entlocken sollen, ich hatte es ihm erspart, sich irgendwie verantwortlich, verpflichtet oder genötigt zu fühlen, sie zu erwidern, nicht die
Weitere Kostenlose Bücher