Die sterblich Verliebten
morgen werde ich mich der Aufgabe widmen, ihn nicht länger als lebendiges Wesen zu sehen, sondern in Erinnerung zu verwandeln, so verzehrend sie eine Zeitlang noch sein mag. Geduld, denn der Tag wird kommen, an dem sie es nicht mehr ist.‹
Aber nach einer Woche oder weniger kam diesem Prozess etwas in die Quere, als ich noch mit seinen ersten Schritten rang. Ich verließ gerade mit meinem Chef Eugeni und meiner Kollegin Beatriz den Verlag, schon etwas spät, denn ich sorgte dafür, dass ich die größtmögliche Anzahl von Stunden in Gesellschaft verbrachte, den Kopf mit Dingen beschäftigt, die mir einerlei waren, wie jeder, der diese langwierige Aufgabe angeht und nicht an das denken will, wohin seine Gedanken unweigerlich streben. Als ich mich noch von ihnen verabschiedete, fiel mir ein großer Mann auf, der eine kurze Strecke, die Hände in den Manteltaschen vergraben, auf dem Bürgersteig gegenüber auf und ab ging, wohl um die Kälte zu vertreiben, da er schon eine Weile dort wartete, in der Nähe jenes Cafés im oberen Teil von Príncipe de Vergara, in dem ich noch immer jeden Morgen frühstückte und zwangsläufig immer wieder an mein perfektes Paar denken musste, das sich in Luft aufgelöst hatte; er machte den Eindruck, als warte er auf eine Verabredung und sei versetzt worden. Obwohl er keinen Ledermantel trug, sondern einen altmodischen kamelfarbenen, vielleicht sogar aus dem Fell dieses Tiers, erkannte ich ihn sofort. Das konnte kein Zufall sein, ich war mir sicher, dass er auf mich wartete. Was tut er hier, dachte ich, Javier schickt ihn, und in diesen Gedanken mischten sich – wie üblich bei diesem späteren Javier, mit dem ich zwei Gesichter verband oder der demaskiert worden war, um es irgendwie zu benennen – irrationale Furcht und dumme Hoffnung. Er schickt ihn, um sich zu vergewissern, dass ich neutralisiert und beschwichtigt bin, oder aus bloßem Interesse, um von mir zu hören, wie es mir geht nach seinen Bekenntnissen und Geschichten, noch hat er mich nicht aus seinem Geist verbannen können, aus welchem Grund auch immer. Oder vielleicht ist es eine Drohung, eine Warnung, und Ruibérriz soll mir vor Augen führen, was mir passieren kann, wenn ich nicht bis ans Ende aller Zeiten schweige oder wenn ich mich ans Nachforschen mache und Doktor Vidal aufsuche, Javier gehört zu denen, die sich über die Ereignisse im Nachhinein den Kopf zerbrechen, wie damals, nachdem ich ihre Unterhaltung belauscht hatte. Während ich das dachte, zögerte ich, ob ich ihm ausweichen und mit Beatriz gehen, sie so weit begleiten sollte wie nötig, oder ob ich mich, wie ich es vorgehabt hatte, allein auf den Weg machen und von ihm ansprechen lassen sollte. Ich entschied mich für Letzteres, wieder war die Neugier stärker; ich verabschiedete mich also, machte sieben, acht Schritte auf meine Bushaltestelle zu, ohne in seine Richtung zu blicken. Nur sieben oder acht, denn sofort bahnte er sich zwischen den Autos hindurch seinen Weg über die Straße, berührte mich leicht am Ellbogen, damit ich nicht erschrak, und als ich mich umdrehte, traf ich auf das Blitzen seines Gebisses, auf ein Lächeln, das mir bereits beim ersten Mal aufgefallen war, so breit, dass sich die Oberlippe aufwärts bog und die Innenseite entblößte, sehr auffällig, als stülpte sie sich um. Er hatte auch noch seinen taxierenden männlichen Blick, obwohl ich diesmal ordentlich bedeckt war, nicht in einem recht zerknitterten, hochgeschobenen Rock und Büstenhalter. Es spielte keine Rolle für ihn, zweifellos war er ein Mensch mit pauschalem, globalem Urteil: Bevor eine Frau es merkte, hatte er sie schon zu Ende studiert. Das schmeichelte mir nicht besonders, er gehörte wohl zu der Art Männer, die ihre Bewertungsmaßstäbe herabsetzen, je älter sie werden, keinen großen Anreiz benötigen und am Ende allem hinterherrennen, was sich mit einer Spur von Anmut bewegt.
»Fabelhaft, María, was für ein Zufall«, sagte er, führte die Hand an die Braue und ahmte die Gebärde des Hutabnehmens nach, wie er es damals beim Verabschieden getan hatte, als er in den Fahrstuhl trat. »Du erinnerst dich doch an mich, hoffe ich. Wir haben uns bei Javier kennengelernt, Javier Díaz-Varela. Ich hatte das Privileg, dass du von meiner Anwesenheit nichts wusstest, weißt du noch? Du warst sehr überrascht, ich wie geblendet, leider nur ein kurzer Blitz.«
Ich fragte mich, was für ein Spiel er spielte. Er war so dreist, eine Zufallsbegegnung zu mimen, obwohl
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