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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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für mich gibt es Männer, die bloß ›Typen‹ sind, mehr nicht. Er gehörte zu den Menschen, deren Dreistigkeit keine Grenzen kennt, so dass sie manchmal entwaffnen kann. Ich hatte mir diese Einstellung mit dem Mangel an Respekt zwischen den beiden erklärt, weil sie Komplizen waren, jeweils die gröbsten Schwächen des anderen kannten, gemeinsam ein Verbrechen begangen hatten. Ruibérriz schien es einerlei zu sein, in welcher Beziehung ich zu Díaz-Varela stand. Vielleicht hatte der ihn auch, wie mir in den Sinn kam, wissen lassen, dass es keine mehr gab. Ja, diese Vorstellung ärgerte mich, dass er ihm womöglich grünes Licht gegeben hatte, ohne das geringste Bedauern, ohne einen letzten Rest Besitzanspruch, so schwach er auch sein mochte – den Anspruch des Entdeckers, wenn man so will –, ohne die geringste Spur von Eifersucht, und das half mir, ernster zu werden, den unverschämten Kerl in seine Schranken zu verweisen, sanft und wortlos, sein Auftauchen machte mich immer noch neugierig. Ich erklärte mich bereit, in dem Café ein Gläschen mit ihm zu trinken, nur kurz, mehr nicht, warnte ich ihn. Wir setzten uns an den Tisch am Fenster, an dem früher immer das perfekte Paar gesessen hatte, als es noch existierte, und ich dachte: Was für ein Niedergang. Mit einem Schwung zog er den Mantel aus, fast wie ein Trapezkünstler, und streckte gleich darauf die Brust heraus, zweifellos war er stolz auf seine Muskeln, hielt sie für einen Aktivposten. Seinen
foulard
behielt er um, dachte wohl, dass er ihm gut stand und zu seinen engen Hosen passte, beide naturfarben: eine vornehme Farbe, doch eher fürs Frühjahr geeignet, es schien ihm einerlei zu sein, was die Jahreszeit verlangte.

Er reihte Kompliment an Kompliment, Lappalie an Lappalie. Die Komplimente waren direkt, ungeniert schmeichelnd, doch nicht geschmacklos, er wollte flirten und witzig wirken – was ihm besser gelang, wenn er es nicht darauf anlegte, seine Scherze waren vorhersehbar, mittelmäßig, leicht naiv –, das war alles. Ich wurde ungeduldig, meine Liebenswürdigkeit schwand, das Lachen fiel mir immer schwerer, nach dem langen Arbeitstag übermannte mich die Müdigkeit, außerdem schlief ich nicht gut seit meinem Abschied von Díaz-Varela, quälte mich mit Albträumen und unruhigem Erwachen. Ruibérriz war mir nicht etwa unsympathisch, obwohl ich wusste, was ich wusste – vielleicht hatte er sich bloß für einen Gefallen revanchiert, hatte einem Freund in einem bitteren Moment geholfen, als der einem anderen Freund helfen musste, schnell zu sterben, einem Freund, der gestern hätte sterben sollen, vor der Zeit oder vor der natürlichen, ihm zustehenden Zeit (vor seinem zweiten Zufall, das ist ein und dasselbe) –, aber er interessierte mich nicht im Geringsten, er hatte keine Facetten, nicht einmal seine Galanterien gefielen mir. Er ignorierte, dass er älter wurde, bestimmt ging er eher auf die Sechzig zu als auf die Fünfzig, benahm sich aber wie ein Mann von dreißig. Das mochte zum Teil daran liegen, dass er sich körperlich so gut hielt, keine Frage, auf den ersten Blick wirkte er wie in den Vierzigern.
    »Weshalb hat Javier dich geschickt?«, sagte ich auf einmal, indem ich mir ein kurzes Schweigen oder Stocken in der Unterhaltung zunutze machte: Entweder merkte er nicht, dass sein Flirten an Schwung und jede Aussicht auf Erfolg verlor, oder seine Beharrlichkeit war unerschütterlich, sobald er einmal losgelegt hatte.
    »Javier?« Seine Überraschung wirkte echt. »Mich hat nicht Javier geschickt, ich bin auf eigene Faust hier, ich hatte in der Gegend zu tun. Und selbst wenn nicht: Stell bloß dein Licht nicht unter den Scheffel, du weißt, dass man keinerlei Ermunterung braucht, um sich dir nähern zu wollen.« Er ließ keine Gelegenheit aus, mir zu schmeicheln, kam gleich zur Sache. Wie gesagt, ein Gebot der Laune, das Gebot, herauszufinden, ob ich ihr entsprechen würde oder nicht. Wenn ja, dann fabelhaft. Wenn nicht, weiter zur nächsten, er schien mir nicht der Typ zu sein, der es zweimal versucht oder sich ewig mit einer Eroberung aufhält. Wenn es beim ersten Ansturm nicht klappte, würde er ohne ein Gefühl der Niederlage ablassen und nicht mehr daran denken. Das hier war sein erster und vermutlich einziger Ansturm, er würde keinen weiteren Tag seiner Zeit verschwenden, er konnte aus dem Vollen schöpfen, ein Kostverächter war er nicht.
    »Ach nein? Und woher wusstest du, wo ich arbeite? Komm mir nicht damit, dass du

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