Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
zufällig hier vorbeigegangen bist. Ich habe dich warten sehen. Seit wann warst du hier? Der Tag ist zu kalt, um auf der Straße zu stehen, und zu groß die Unannehmlichkeit, um auf eigene Faust herzukommen, so viel mache ich auch nicht her. Als Javier uns vorgestellt hat, ist nicht einmal mein Nachname gefallen. Sag du mir, wie du mich so treffsicher aufgespürt hast, wenn er dich nicht geschickt hat. Was will er wissen, ob ich ihm seine Geschichte von Freundschaft und Aufopferung abgenommen habe?«
    Ruibérriz blendete langsam eins seiner Lächeln aus oder besser gesagt, sein fortdauerndes Lächeln, denn tatsächlich hatte er es in keinem Moment abgeschaltet, bestimmt hielt er auch sein blitzendes Gebiss à la Gassman für einen Aktivposten, seine Ähnlichkeit mit dem Schauspieler war beachtlich und trug dazu bei, ihn sympathisch zu machen. Oder vielleicht geschah es gar nicht langsam, vielleicht hatte sich seine geschürzte Oberlippe nur am Zahnfleisch verhakt oder war dort kleben geblieben, das passiert, wenn es an Speichel fehlt, und es dauerte eine Weile, bis er sie befreit hatte. So musste es sein, denn er machte seltsame Nagetierbewegungen.
    »Stimmt, damals hat er deinen Nachnamen nicht genannt«, antwortete er und setzte angesichts meiner Reaktion eine befremdete Miene auf, »aber später haben wir am Telefon über dich gesprochen, und da ist ihm genug herausgerutscht, damit ich dich in nicht einmal zehn Minuten ausfindig machen konnte. Unterschätz mich nicht. Ich bin kein schlechter Detektiv, habe meine Kontakte, und heutzutage mit Internet und Facebook und all dem entschlüpft einem keiner, sobald man ein Detail kennt. Will es dir nicht in den Kopf, dass ich dich, seit du ins Zimmer geschneit bist, verdammt klasse fand? Na komm, komm. Du gefällst mir riesig, María, das weißt du. Auch heute, obwohl ich dich unter ganz anderen Umständen, in ganz anderer Aufmachung als beim ersten Mal getroffen habe, man kann schließlich nicht immer in der Lotterie gewinnen. Damals war es tatsächlich ein
flash,
ein Lichtblitz. Die reine Wahrheit ist, seit Wochen schon kriege ich das Bild nicht mehr aus dem Kopf.« Und wie selbstverständlich kehrte sein Lächeln zurück. Immer wieder musste er auf die Szene meiner Halbnacktheit anspielen; dass er dreist wirkte, kümmerte ihn nicht, schließlich ging er davon aus, dass sein Eintreffen Díaz-Varela und mich beim Vögeln unterbrochen hatte oder fast. Das traf nicht zu, aber beinahe. Er hatte ›riesig‹ gesagt und
›flash‹,
Ausdrücke, die bereits altmodisch klangen; und das Verb ›entschlüpfen‹ ist auch auf dem Rückzug. Der Wortschatz verriet sein Alter mehr als das Aussehen, darin hatte er sich eine gewisse Stattlichkeit bewahrt.
    »Ihr habt über mich gesprochen? Darf man wissen, weshalb? Unsere Beziehung war nicht gerade in aller Munde. Ganz im Gegenteil. Er fand es ganz und gar nicht lustig, dass du mich gesehen hast, dass wir uns begegnet sind, hast du nicht gemerkt, wie sehr ihm das gegen den Strich ging? Es wundert mich, dass er später von mir gesprochen haben soll, da er unser Zusammentreffen doch lieber aus der Welt geschafft hätte …« Ich verstummte mit einem Mal, denn mir kam mein Gedanke von damals in den Sinn, dass Díaz-Varela bestimmt gemeinsam mit Ruibérriz die Unterhaltung zu rekonstruieren versucht hatte, deren Zeuge ich hinter der Tür gewesen war, um abzuwägen, wie viel und was ich gehört, was ich erfahren haben konnte; und nach Prüfung des Gesprochenen war er gewiss zu dem Schluss gekommen, dass er sich besser mit mir auseinandersetzte, mir eine Erklärung gab, sich eine Geschichte erfand oder mir das Geschehene bekannte, mir jedenfalls eine bessere Geschichte anbot als die, die ich mir vermutlich ausmalte, und deshalb hatte er mich angerufen und nach zwei Wochen zu sich bestellt. Also war es doch wahrscheinlich, dass sie über mich geredet hatten und Javier dabei so viel herausgerutscht war, dass Ruibérriz mich auf eigene Faust suchen konnte, ohne Erlaubnis sozusagen. Zweifellos war er kein Mann, der jemanden um seine Zustimmung bat, wenn er eine Typin anmachen wollte. Er gehörte sicher zu denen, die nicht einmal vor den Frauen oder Freundinnen ihrer Freunde Respekt haben oder haltmachen, davon gibt es mehr, als man denkt, sie kennen keine Grenzen. Vielleicht wusste Díaz-Varela nichts von seinem Annährungsversuch, von seinem Ansturm an diesem Abend. »Nein, warte«, fügte ich sofort hinzu. »Er hat dir doch von mir erzählt,

Weitere Kostenlose Bücher