Die sterblich Verliebten
Jammer.
III
In jeder ungleichen Beziehung, die nicht näher benannt, nicht ausdrücklich anerkannt wird, ergreift der eine meist die Initiative, ruft an, schlägt ein Treffen vor, während der andere zwei Möglichkeiten oder Strategien hat, das gleiche Ziel zu erreichen, sich also nicht sofort in Luft aufzulösen oder zu verschwinden, sosehr er auch weiß, dass dies letztlich sein Schicksal sein wird. Die eine beschränkt sich darauf, zu warten, niemals selbst einen Schritt zu tun, damit zu rechnen, dass wir vermisst werden und sich unser Schweigen, unser Ausbleiben unverhofft als unerträglich, als besorgniserregend erweist, denn ein jeder gewöhnt sich schnell an das, was man ihm schenkt oder worüber er gerade verfügt. Die zweite Strategie ist der Versuch, sich unauffällig in den Alltag des anderen einzuschleichen, man dringt ein, ohne zu drängen, erobert unter jedem beliebigen Vorwand Terrain, ruft an, doch nicht, um etwas vorzuschlagen – das ist uns noch versagt –, sondern um eine Frage zu stellen, einen Rat oder Gefallen zu erbitten, um zu erzählen, was uns widerfährt – die wirksamste, nachdrücklichste Methode, jemanden an sich zu binden –, oder um eine Information weiterzugeben; man zeigt Präsenz, fungiert als Merkzeichen seiner selbst, trällert, summt in der Ferne, bereitet den Boden für eine Gewohnheit, die sich unmerklich einnistet, fast heimlich, bis sich der andere eines Tages dabei ertappt, dass er den Anruf vermisst, an den er sich gewöhnt hat, sich beinahe gekränkt fühlt – oder eine Spur hilflos –, und notgedrungen greift er voll Ungeduld zum Telefon, erfindet aus dem Stegreif einen absurden Vorwand und überrascht sich dabei, dass nun er den Anruf macht.
Ich gehörte nicht zum zweiten verwegenen, aktiven Typ, sondern zum ersten schweigsamen, stolzer und raffinierter, der aber auch eher Gefahr lief, geschwind gestrichen und vergessen zu werden, war jedoch seit jenem Abend froh, dass ich es darauf ankommen ließ und mich gewöhnlich dem Verlangen und den Vorschlägen dessen unterordnete, der für mich immer noch Javier war, doch schon im Begriff, sich allmählich in einen bloßen Doppelnamen zu verwandeln, der sich eher schwer behalten ließ; dass ich ihn nicht anrufen oder aufsuchen musste und der Verzicht darauf weder verdächtig noch verurteilend wirkte. Somit bedeutete auch die Funkstille nicht, dass ich ihm aus dem Weg ging, dass er mich enttäuscht hatte – ein mildes Wort –, dass ich Angst vor ihm verspürte oder den Umgang mit ihm abbrechen wollte, nachdem ich erfahren hatte, dass er seinen besten Freund hatte erstechen lassen, ohne überhaupt die Gewissheit zu haben, damit sein Ziel zu erreichen, denn eine Aufgabe hatte er noch vor sich, die einfachste oder mühsamste, das weiß man nie: Verliebtheit zu erzeugen (die Aufgabe, die am leichtesten oder am schwersten wiegt). Somit bedeutete ein fehlendes Lebenszeichen nicht, dass ich etwas von der Angelegenheit, etwas Neues über ihn wusste, mein Schweigen verriet mich nicht, alles war wie immer während des kurzen Umgangs miteinander, der davon abhing, dass er eine Spur von Sehnsucht empfand, sich meiner erinnerte und mich in sein Schlafzimmer rief, erst dann würde ich überlegen müssen, wie mich verhalten, was tun. Die Verliebtheit wiegt leicht, darauf zu warten, wiegt schwer.
Als Díaz-Varela mir von Oberst Chabert erzählt hatte, war mir gleich Desvern in den Sinn gekommen: der Tote, der tot bleiben muss, da sein Tod in die Annalen eingegangen und historische Tatsache ist, berichtet und beschrieben, und dessen neues, unbegreifliches Leben ein unbequemer Ersatz ist, ein Übergriff auf das der anderen; der kommt, um das Weltall aufzustören, das nichts weiß, nichts korrigieren kann und somit ohne ihn fortfuhr. Dass Luisa ihren Deverne nicht gleich abgeschüttelt hatte, dass sie aus Trägheit oder Gewohnheit weiter an ihm hing oder an seiner noch frischen Erinnerung – frisch für die Witwe, aber längst verblasst für den, der dessen Beseitigung so lange schon im Sinn gehabt hatte –, kam Díaz-Varela gewiss wie die Einmischung eines Gespenstes, einer so lästigen Erscheinung wie Chabert vor, nur dass der in Fleisch und Blut samt Narben wiedergekehrt war, als er bereits vergessen und seine Rückkehr selbst für den Lauf der Zeit ein Ärgernis war, die entgegen ihrer Natur gezwungen wurde, rückwärtszugehen, zu berichtigen, während Desvern im Geist noch nicht verschwunden war, sondern verweilte,
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