Die sterblich Verliebten
oder Enttäuschung, das Zweite scheint sie nicht zu empfinden, wird es wohl auch nicht, sie akzeptiert, dass es mehr zwischen uns nicht geben wird, und weiß, dass ich sie eines Tages nicht mehr sehen, von der Liste streichen werde, weil Luisa mich dann endlich gerufen hat, was keineswegs sicher ist, doch sehr wohl geschehen kann, ja früher oder später geschehen müsste. Es sei denn, María besäße einen dummen, ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, und die Enttäuschung, einen Verbrecher in mir zu sehen, verdrängte jede andere Überlegung, weshalb es ihr nicht genug wäre, sich von mir loszusagen und zu trennen, sondern sie mich auch von meiner Liebe trennen müsste. Und wenn Luisa Bescheid wüsste oder auch nur der Gedanke in ihren Kopf gelangte, wäre alles dahin, was hätte es für einen Sinn, erst auf dem schmutzigsten Weg vorgedrungen zu sein, damit es dann keinerlei Hoffnung mehr gibt, nicht die leiseste, die illusorischste, die uns zu leben hilft. Vielleicht wäre mir dann sogar das Warten verboten, nicht nur die Erwartung, sondern das bloße Warten, die letzte Zuflucht des Unglücklichsten, der Kranken und Gebrechlichen, der Verdammten und Sterbenden, die auf die Nacht warten und dann auf den Tag und wieder auf die Nacht, nur darauf, dass das Licht sich ändert, damit sie wenigstens wissen, was an der Reihe ist, Wachen oder Schlafen. Selbst die Tiere warten. Die Zuflucht eines jeden Lebewesens auf der Erde, aller außer mir …‹
Die Tage vergingen ohne Nachricht von Díaz-Varela, einer, zwei, drei, vier, das war nichts Außergewöhnliches. Fünf, sechs, sieben, acht, auch das nicht außergewöhnlich. Neun, zehn, elf, zwölf, das schon eher, aber merkwürdig war es auch nicht unbedingt, manchmal ging er auf Reisen, manchmal ich, gewöhnlich sagten wir einander nicht im Voraus Bescheid, und erst recht verabschiedeten wir uns nicht, diesen Grad an Vertrautheit hatten wir nie erreicht, waren nicht so wichtig füreinander, dass wir es für notwendig oder klug gehalten hätten, uns über unsere Ortsveränderungen, über Aufenthalte fern dieser Stadt zu unterrichten. Immer wenn der Anruf, ein Lebenszeichen von ihm so viele Tage oder länger ausgeblieben war, hatte ich voll Bedauern – aber immer schicksalsergeben oder resigniert – gedacht, dass ich nun abzutreten hatte, dass die kurze Zeit, die ich mir selbst in seinem Leben zugestanden hatte, am Ende mehr als kurz gewesen war; ich nahm dann an, dass er es müde geworden war oder sich, seinen Neigungen treu, neuen weiblichen Zeitvertreib gesucht hatte (niemals hielt ich mich für viel mehr, so gern ich auch wollte) während dieser Spanne, die mir jetzt als ein vor Urzeiten begonnenes Warten vorkam oder wie ein Belauern; oder dass Luisa ihn schneller als vermutet akzeptiert hatte und kein Platz mehr für mich war, auch für keine andere; oder dass er völlig in seinen Besuchen aufging, in seinen Aufmerksamkeiten ihr gegenüber, ihre Kinder morgens wegbrachte, ihr half, wo er konnte, ihr Gesellschaft leistete, stets zu ihrer Verfügung. Nun war’s das, nun ist er fort, nun hat er mich weitergeschickt, es ist aus, dachte ich. So kurz hat es gedauert, dass ich mich in seinem Gedächtnis mit anderen überlappen und verschwimmen werde. Ich werde nicht mehr zu unterscheiden sein, ein bloßes Vorher, eine weiße Seite, das Gegenteil des ›Hiernach‹, werde dem angehören, was nicht mehr zählt. Nun gut, einerlei, ich wusste es von Anfang an, nun gut. Wenn dann am zwölften oder fünfzehnten Tag das Telefon klingelte und ich seine Stimme hörte, konnte ich den inneren Freudensprung nicht unterdrücken, musste mir sagen: ›Na, sieh an, noch nicht, ein Mal wenigstens wird es noch geben.‹ Wenn es während dieser Phasen, da ich unfreiwillig wartete und er eisern schwieg, klingelte oder mein Handy verkündete, dass jemand eine Nachricht hinterlassen hatte, während es ausgeschaltet gewesen war, oder eine SMS darauf wartete, gelesen zu werden, vertraute ich immer voll Zuversicht darauf, dass er dahintersteckte.
Nun ging es mir ebenso, doch voll Besorgnis. Mit Schrecken schaute ich auf das winzige Display, wünschte, seinen Namen, seine Nummer nicht zu sehen, und – das war das Beunruhigende, Seltsame – wünschte es zugleich. Es war mir lieber, nicht mehr mit ihm zu tun zu haben, mich keinem weiteren der von uns praktizierten Treffen auszusetzen, denn ich konnte nicht garantieren, wie ich reagieren, wie ich mich verhalten würde. Er würde meine
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