Die Sternenkrone
Schwester Bescheid sagen, wenn Sie hingehen!«
»Wunderbar. Danke ... Das Problem ist, daß ich so schwach bin. Schwach. Ich kann es gar nicht glauben, daß ich vor ein paar Tagen noch an der Front war und gekämpft habe.«
»Das ist die Auswirkung des Amphetamin-Entzugs, mein Lieber. Man muß einen hohen Preis dafür bezahlen, daß man eine Zeitlang Supermann ist.«
»Wie lange dauert das?«
»Bis Sie es geschafft haben, es durch ständiges Üben zu überwinden. Das ist die einzige Heilmethode, ständig aktiv zu bleiben.«
»Aber es scheint mit jedem Tag schlimmer zu werden. Ich werde immer schwächer. Ich befürchte, ich werde hier sterben.«
»Sagen Sie nicht so etwas, mein Lieber! Bisher ist noch niemand am Entzug gestorben, und es wird auch keiner dran sterben. Sie werden immer gesünder werden.« Sie sah ihn ernst an und fuhr fort: »Sie sind hier vollkommen sicher. Haben Sie keine Angst!«
Irgend etwas an ihrem Tonfall machte ihn stutzig. Man spricht hier nicht übers Sterben, dachte er. Sie haben Angst vor Selbstmorden. Das meint sie mit >sicherSicher< bedeutete für ihn etwas ganz anderes; gut bewachte Umgrenzungen, sicher gegen Angriffe der Guévaristas.
»Wo sind die Gués jetzt? Ich bin überhaupt nicht mehr auf dem laufenden.«
»Der Krieg steht gut, wie ich höre. Die Front hat sich ein ganzes Stück weit verschoben, seit Sie hier eingeliefert wurden.«
»Ich muß dorthin zurück.«
»O nein, das müssen Sie nicht! Der Krieg ist für Sie vorbei, mein Lieber!« Sie knüllte die schmutzige Bettwäsche zusammen und machte sich zum Gehen bereit.
»Vielen Dank«, rief er hinter ihr her. Aber ein Gefühl der Niedergeschlagenheit hatte ihn mitten in den Magen getroffen. Sie hatte es ernst gemeint. Es war für ihn vorbei, die leichte Welt des Kampfes mit den kleinen wohlgefüllten gelben Pillenschachteln. Was würde er zu Hause machen? Durch die nächtlichen Straßen streunen und den Schwarzmarkt abklappern? Auf keinen Fall. Er mußte zurück. Dort an der Front gab es alles, was er brauchte, einschließlich einer sauberen Art zu sterben.
Depression und Schwindelgefühl überkamen ihn noch stärker, als er ins Bett ging. Die Bilder der sterbenden Frau, des gemarterten Babys erschienen erneut. So konnte er nicht weitermachen. Es ging nicht. Der Haß auf sich selbst wirkte wie giftige Nebelschwaden in seinem Kopf. Der Zustand dauerte den ganzen Nachmittag an.
Als er an diesem Abend zu dem Wagen mit den Tabletten kam, stellte er fest, daß jemand einen Fehler gemacht hatte. Ein echtes Metallmesser lag blitzend auf dem Tablett mit Butter und Ketchup, genau über seinem.
Niemand beobachtete ihn. Es war die Sache eines Augenblicks, das wundervolle Messer in seinem Schlafanzug verschwinden zu lassen, indem er es in den Verband steckte.
Er zwang sich so zu tun, als ob er äße, um abzuwarten, bis die anderen gegangen waren. Dann humpelte er mit seiner Errungenschaft zurück zu Nummer 209. Die Erlösung. Der Weg nach draußen. Aber erst in der Nacht, wo sollte er es so lange verstecken?
Er fand einen idealen Platz – ein loses Stück Rahmen in der oberen Ecke des Fensters. Bis auf ein kleines Ende fand alles wunderbar darin Platz. Dann nahm er es wieder heraus – es war zu stumpf, er mußte es schärfen. Er könnte es an der Fensterscheibe versuchen.
Zwischen den viertelstündigen Runden der Schwestern schliff er es sorgfältig. Die Schneide wurde ganz schön scharf. Er probierte sie an seinem Handgelenk aus, wobei eine schmale rote Linie zurückblieb, aus deren Ende ein roter Tropfen perlte. Okay. Er verstaute das Messer wieder in seinem Versteck und legte sich ins Bett, um sein Handgelenk zu untersuchen und sich zu erinnern, wo man den Schnitt am besten ansetzte ... Eine friedliche Art zu sterben, das Verbluten. Man wurde einfach kalt. Schade, daß er den Arm nicht über die Bettkante hängen lassen konnte, um das Blut abtropfen zu lassen, aber das würden die Kontrollrunden sofort bemerken. Im Bett würden sie das Blut unter ihm erst entdecken, wenn es viel zu spät war ... Er mußte tief schneiden, damit ein kräftiger Blutstromherausgepumpt wurde. Das würde weh tun – aber nicht so sehr wie das Zeug in seinem Kopf. Das würde ihm jedenfalls nie mehr weh tun.
Im Flur draußen gab es ein Hin und Her, aber er schenkte dem keine allzu große Beachtung. Es ging ihn nichts an. Niemals mehr ging ihn irgendwas etwas an
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