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Die Sternseherin

Titel: Die Sternseherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Julens Vater, der Einzige, den die verführerische Sirene wirklich liebte, hatte sie nie lange treu bleiben können. Ihren Sohn traf sie nur selten, ihre Anziehungskraft war selbst für die eigenen Kinder nicht ungefährlich. Er verachtete sie, obwohl er natürlich wusste, dass sie im Grunde nichts anderes tat als er selbst: Die Sirene lebte von der leidenschaftlichen Selbstaufgabe ihrer Opfer so wie Julen vom Blut der seinen. Aber was auch immer er von ihr hielt, sie hätte ihm niemals verschwiegen, dass Gunnar wieder unter ihnen weilte. Er bereute inzwischen, derart überstürzt aufgebrochen zu sein. Im Nachhinein betrachtet war es nicht unwahrscheinlich, dass Nell einiges über Gunnar wusste; er hätte sie fragen sollen. Julen hatte – anders als Asher – lediglich eine kurze Affäre mit der Statthalterin des Rats gehabt und diese lag bereits zwei Jahrhunderte zurück – also nichts, was selbst eine gut vierhundertjährige Vampiresse als eine kürzlich stattgefundene Begegnung bezeichnen würde. Bei ihrer Begrüßung hatte er sich nichts dabei gedacht. Jetzt war er sicher, dass Gunnar ihr vorgegaukelt hatte, er sei Julen und ihre Avancen dankbar entgegengenommen hatte. Welches Ziel sein Bruder damit verfolgte, konnte er nicht erkennen.
    Der Abend war weit vorangeschritten und es gab Wichtigeres zu tun, als hinter einem Phantom herzujagen. Morgen würde er Nell befragen, jetzt aber musste er dringend in Erfahrung bringen, wo die Entführer ihre Opfer gefangen hielten. In Cambridge hatte er bei seiner Hausdurchsuchung zwar keine Hinweise auf ein entsprechendes Versteck gefunden, dennoch kehrte er noch einmal in die Earl Street zurück. Das Haus des Wissenschaftlers lag dunkel am Ende der schmalen Gasse. Julen wartete eine Weile in den Schatten, um sicherzugehen, dass ihn niemand beobachtete. Deutlich spürte er Leben hinter einem der Fenster, jemand bewegte sich im Haus, ohne sich die Mühe zu machen, ein Licht einzuschalten. Das ließ nur zwei Schlüsse zu. Entweder handelte es sich um eine Kreatur mit außerordentlich guter Nachtsicht, oder der Eindringling war mit den Örtlichkeiten bestens vertraut. Julen tippte auf Letzteres, denn von Magie konnte er nicht die geringste Spur entdecken, stattdessen spürte er deutlich den schnellen Herzschlag des Einbrechers. Es gab nur einen Weg, es herauszufinden. Mit einem eleganten Sprung erreichte der Vampir die Dachrinne im zweiten Stock und zog sich daran hoch. Bei seinem ersten Besuch war ihm aufgefallen, dass die oberen Fenster weniger aufwändig gesichert waren, und dieses Mal dauerte es auch keine Minute, bis er das komplizierte Siegel entwirrte hatte und ins Haus eindringen konnte. Lautlos schlich Julen die Treppenstufen hinab. Der Herzschlag war hier deutlicher zu vernehmen, und was auch immer der Sterbliche gesucht hatte, er schien es gefunden zu haben. Triumph lag in der Luft und Gier. Dies legt die Vermutung nahe, dass er auf der Suche nach Geld oder einem wertvollen Gegenstand gewesen war. Jetzt erinnerte Julen sich auch, wo er diese ganz gewisse Aura schon einmal gespürt hatte. Es war in dem Pub »The Eagle« gewesen, in das Asher Estelle und ihn in Cambridge geführt hatte. Dort hatte er ein Treffen zwischen Sara und dem Mann beobachtet, von dem sie erst vorhin erzählt hatte, er sei Gralons Assistent. Eine heiße Welle der Ablehnung ergriff ihn, als er daran dachte, wie der schmierige Typ in Saras Ausschnitt gestarrt hatte, als wäre sie ein besonders leckerer Happen. Natürlich war sie das und Julen duldete nicht, dass sie von begehrlichen Blicken belästigt wurde. Der Feentochter war es gelungen, mehr als nur erotische Gefühle in ihm zu wecken, gestand er sich ein. Schneller, als dass das menschliche Auge seinen Bewegungen hätte folgen können, stand er vor dem Fremden. Der riss erschrocken eine Pistole aus der Tasche und zielte mit heftig zitternder Hand auf Julen.
    Der Vampir lachte leise. »Leg das Ding weg! Oder willst du dir in den Fuß schießen?«
    »Was haben Sie hier zu suchen, ich rufe die Polizei!«
    »Gute Idee!« Julen zeigte ein sardonisches Lächeln, und ehe der Mann begriff, was geschah, hatte er ihm die Waffe abgenommen und wie beiläufig eingesteckt. »Die Frage ist doch, was tut ein Mitarbeiter, der hier jederzeit ein- oder ausgehen kann, um diese Zeit im Büro seines Arbeitgebers, noch dazu bei absoluter Dunkelheit?«
    »Ich habe etwas gesucht.«
    »Ich nehme an, du hast es gefunden – der Umschlag in deiner Tasche?«
    »Woher

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