Die Sternseherin
...? Das geht Sie gar nichts an!«
Julen hatte wenig Lust auf diese sinnlose Diskussion. Mit einem Grollen in der Kehle stürzte er sich auf sein Gegenüber, schob grob den Kopf des Mannes beiseite und biss zu. Das warme Blut strömte Sekunden später in seinen Mund und er hätte sich im Strudel des köstlichen Nektars verlieren können. Aber er war nicht ohne Grund ein Kandidat für die Position des jüngsten Vengadors, der, zumindest in diesem Millennium, seinen Dienst tun würde. Bevor er die tödliche Schwelle überschritt, hob er seinen Kopf und gab ein unmenschliches Fauchen von sich. Sekunden später und es hätte keine Umkehr mehr gegeben. Das Blut tropfte von den langen Reißzähnen und seine Augen leuchteten wie Saphire in der Dunkelheit. Der Höhenflug, der jedem echten Biss folgte, verflüchtigte sich viel zu schnell und er stieß den hastigen Imbiss von sich. Julen, das wusste er selbst, war eine Spur homophob. »Das war gut, Brian, nun lass uns vernünftig reden.« Er zog den Mann auf die Füße und stieß ihn in einen Schreibtischsessel. »Welche Untersuchungen werden hier durchgeführt und woher stammt das Blut?«
Dem Assistenten klapperten die Zähne, er fror und die Kälte schien aus seinen Knochen zu kommen. »Ich weiß nicht, woher Sie meinen Namen kennen und noch viel weniger weiß ich, was mit Ihrer Frage gemeint ist.«
Während des Trinkens hatte Julen einen guten Teil der Persönlichkeit seines Opfers in sich aufgenommen. Normalerweise trennte er diese beiden Dinge, aber heute war ihm nicht nach Rücksichtnahme zumute. Der Mann machte ihn aggressiv und – eifersüchtig. Er tat einen Schritt auf Brian zu, der abwehrend beide Hände hob. »Sie bekommen das Geld!«
Im Nu war Julen bei ihm und zischte in sein Ohr: »Ich will kein Geld, ich will wissen, woher ihr das Blut habt!«
»Ich weiß es nicht!« Brian zermarterte sein Hirn darüber, was der unheimliche Fremde eigentlich von ihm wollte. Die Proben für ihr Labor wurden stets anonym geliefert, und obwohl er sich gern mit dem Titel eines wissenschaftlichen Assistenten schmückte, war er tatsächlich nicht viel mehr als der Laufbursche, bestenfalls der Sekretär des Professors. Genau aus diesem Grund war er ja heute hier. Es wurde seit geraumer Zeit getuschelt, dass die Experimente, die sein Chef durchführen ließ, ständig schiefgingen und es war abzusehen, wann die Gelder der großzügigen Sponsoren nicht mehr fließen würden. Zudem häuften sich die Anrufe des unheimlichen Fremden, der für die »Lieferungen«, wie Professor Gralon es nannte, zuständig zu sein schien. Und dann hatte sich vor einigen Tage eine junge Frau gemeldet, die behauptete, ihr Vater sei ermordet worden und Gralon schulde ihm noch eine Menge Geld. Der Professor hatte ungewöhnlich aufgeregt auf die Vorwürfe reagiert und Brian beauftragt, die »Irre« abzuwimmeln. So absonderlich erschienen ihm aber ihre Anschuldigungen nicht, und als er schließlich gehört hatte, wie Gralon am Telefon von jemandem verlangte, die hübsche Anwältin mundtot zu machen, fand Brian, dass der Zeitpunkt gekommen war, sich aus dem Staub zu machen.
All das las Julen in seinen Gedanken und ganz weit hinten, jenseits der aktiven Erinnerungen, sah er eine Schlossanlage, deren Architektur ihn vage an seine Vergangenheit erinnerte.
»Wollen Sie mich nun freilassen oder ermorden?«, fragte Brian und störte seine Konzentration damit empfindlich. Ein dummer Fehler. Julen dachte nicht nach, sondern brach dem lästigen Sterblichen mit einer schnellen Handbewegung das Genick. Verdammt!, fluchte er lautlos und überlegte, wie er sich des Toten unbemerkt entledigen sollte. Eine Idee streifte seine Gedanken. Ebenso gut konnte dieser Brian sich noch ein letztes Mal als nützlich erweisen. Kurzerhand zog er sein Schwert hervor, das er vorsorglich mitgenommen hatte, und schlug den Kopf des Leichnams ab, dekorierte diesen auf dem schweren Schreibtisch in der Mitte des Raums und verschwand mit dem übrigen Körper in der Zwischenwelt – natürlich nicht, ohne entgegen seiner sonstigen Angewohnheit eine deutliche magische Spur zu hinterlassen. Diese Aktion war hoffentlich spektakulär genug, um Urian aus seiner Deckung zu locken. Denn das Köpfen galt als sein Markenzeichen, und wer lässt sich schon gern von Nachahmern einen Mord unterschieben, der seinem Auftraggeber ganz bestimmt nicht recht sein konnte? Die Leiche beschwerte Julen geschwind mit ein paar Steinen und versenkte sie im Flüsschen
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