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Die Sternseherin

Titel: Die Sternseherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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das funktioniert nie im Leben.« Er ließ sie los. »Also glaube mir bitte, in der Suche nach dem Grimoire liegt auch deine Chance. Vertrau mir, du wirst es nicht bereuen.« Mit diesen Worten beugte er sich vor und seine Lippen berührten ihren Mund.
    Nach dem Streit hatte Estelle nicht mit solch einer Reaktion gerechnet. Seine Berührungen jagten warme Schauer durch ihren Körper. Nicht die kalten Lippen, nicht die falsche Zunge eines Betrügers spürte sie, sondern die lebendige Sehnsucht eines ebenso einsamen Zwillings, wie sie selbst einer war, vereinte sich mit ihrer Seele. »Selena!«, hauchte sie in seinen Mund und fuhr erschrocken zurück.
    Julen legte den Arm um ihre Schultern. »Zwillinge sind untrennbar. Wer, wenn nicht ich, kann besser verstehen, wie sehr du deine Schwester vermisst? Und bevor du fragst: Ich habe, wie wahrscheinlich jeder in der magischen Welt, von deiner Familie gehört. Du bist die Schwester der Auserwählten.«
    »Das ist Nuriya. Aber Selena ist kein mörderischer Vampir!« Sie hätte sich auf die Zunge beißen können, aber dafür war es schon zu spät, denn Julen fragte: »Du magst Vampire nicht besonders, oder?«
    »Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.«
    Er sah sie einen Moment lang an, als wolle er das Thema vertiefen, doch dann lächelte er. »Frieden?«
    Estelle seufzte. Wie konnte man einem Mann lange böse sein, der so wundervoll küsste? »Frieden!«, bestätigte sie. »Und jetzt muss ich laufen.« Sie zupfte an ihrem Sweatshirt. »Ich schätze, du möchtest mich nicht begleiten?«
    Julen wäre mit ihr überall hingegangen, der Kuss hatte ihn völlig verzaubert. Aber eine innere Stimme warnte ihn, es gut sein zu lassen und stattdessen der Spur zu folgen, auf die ihn ihre hasserfüllte Bemerkung über Vampire gebracht hatte. Er kannte nämlich noch jemanden, der nicht viel für seinesgleichen übrig hatte. Und dieses Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit.
     
    Estelle sah unter ihrer Bettdecke hervor und beobachtete den Sonnenaufgang. Der Heizkörper in ihrem Zimmer gab erstaunliche Geräusche von sich, Wärme produzierte er leider kaum. Der Himmel wechselte im Sekundentakt seine Farbe und schließlich wölbte er sich blau und unendlich über der Stadt. Zumindest schloss sie dies aus den Sonnenstrahlen, die winterlich flach in ihr Zimmer schienen. »Aufstehen!«, befahl sie sich selbst und berührte mit bloßen Füßen vorsichtig den Boden vor ihrem Bett. Die nun folgenden Verwünschungen gehörten zu ihrem morgendlichen Ritual. Sie schlüpfte in einen Morgenmantel aus Jugendtagen und wünschte sich nicht zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in der neuen Heimat, dass statt des dünnen Stoffes mindestens ein Kaschmirschal ihre Schultern wärmte. Sie nahm sich vor, sobald wie möglich einen dieser kuschelig aussehenden Plaids zu kaufen, die in der Weberei weiter oben in ihrer Straße angeboten wurden. Auf dem Weg in die Küche begleitete sie das Schlurfen ihrer Pantoffeln. Estelle drehte das Gas auf, bis es zischte, entzündete mit einem langen Streichholz eine Flamme im Backofen und auf dem Herd, dann setzte sie Wasser auf und trat einen Schritt zurück, damit ihre Ärmel nicht, wie schon einmal geschehen, Feuer fingen. Dabei stieß sie mit dem Fuß an einen Schemel und erreichte gleichzeitig mit dem scheppernden Möbel die gegenüberliegende Wand, wo sie sich gerade rechtzeitig abstütze, um nicht der Länge nach hinzufallen.
    Leicht lädiert und mit schmerzendem Zeh gönnte sie sich eine ausgiebige Dusche in dem ebenfalls winzigen Bad, bearbeitete ihre Zähne, bis die Hightech-Bürste Alarm gab, und kehrte in die Küche zurück.
    »Mist!« Das Teewasser war fast verdampft und die Fensterscheiben völlig beschlagen, so dass der leuchtend blaue Himmel hinter einem dichten Schleier verschwand und grau wirkte. Aber immerhin hatte die Küche eine erträgliche Temperatur angenommen. »Umweltfreundlich ist das nicht unbedingt«, ermahnte sie sich. Doch wen kümmerte so etwas schon, wenn er von Albträumen ganz anderer Art gepeinigt wurde? Ganz zu schweigen von einem Zeh, der inzwischen leicht angeschwollen war. Für eine Selbstbehandlung war keine Zeit mehr. Sie spülte ihren Toast mit Tee hinunter, nahm sich dabei vor, auf dem Rückweg endlich einzukaufen, um ihren gemeinsamen Kühlschrank mit dem Notwendigsten aufzufüllen, und humpelte bald darauf über den Campus ihrer Universität.
    Der Literatur-Professor betrat wenige Sekunden nach ihr den Raum, als erwarte er Applaus.

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