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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaroslav Rudis
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eine kleine Festung hier, keine Fischerboote mit riesigen Mengen von Hering und Plattfisch im Netz, würden hier keine Pfirsiche gedeihen (die noch vor hundert Jahren per Schiff bis nach Manhattan geliefert wurden) – dann hätte nie jemand von Delaware gehört. Sofern überhaupt jemand außerhalb der Ostküste jemals von der Stadt gehört hat.
    Die Einwohner sind trotzdem stolz auf ihre Heimat. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Amerikaner stolz sind auf das, was sie besitzen, auf das, was sie geleistet und der Natur abgetrotzt haben. Im Gegensatz zu den Mitteleuropäern, denkt Wayne, vor allem zu den Tschechen, die eher stolz sind auf das, was sie alles verloren haben. Die Tschechen berichten mit viel größerer Lust von ihren Niederlagen als von ihren Siegen. Daher gehen sie alle so gerne in Museen und weiden sich an ihrer ruhmreichen Vergangenheit. Eine schwer zu ertragende Nostalgie herrscht in diesem Land, denkt Wayne weiter, Nostalgie mit einer Prise Gefühlsduselei und einer Menge sadomasochistischer Gelüste. Mit dieser Sehnsucht nach Vergangenheit zieht Mitteleuropa alle Romantiker der Welt an – auch Wayne fühlte sich anfangs durchaus davon angesprochen. Nostalgie, schön und betörend wie jeder Fluss der Erinnerung, ansonsten aber träge, steif und ohne Zukunft.
    Wayne kann den Reiz nachvollziehen. Momentan steht er irgendwo dazwischen, zwischen Mitteleuropa und den Vereinigten Staaten, zwischen Prag und Delaware. Vielleicht war es Zeit zurückzugehen.
    In seinen Ohren rauscht es immer noch. Sein Kopf dröhnt.
    Er sieht aus dem Fenster.
    Die Prager Straßenbahnen haben sich seit seiner Ankunft nicht verändert. Vergrößerte Abbildungen der Kinderautoscooter, in denen Mike und er einst Wettrennen veranstaltet haben. Herrlich geschwungene Plastiksitze, unter denen manchmal auch im Sommer geheizt wird. Jetzt schon glüht es unter seinen Oberschenkeln, dabei hat sich der Sommer noch nicht mal richtig verabschiedet.
    Ein paar Meter vor ihm stehen zwei dunkelhäutige Burschen mit schwarzer Brille und Baseballkappe. Sie halten sich an der Haltestange fest und reden auf eine junge Frau mit einem liederlichen Knieverband ein. Wayne versteht ihre Sprache nicht. Ungarisch vielleicht. Sicher irgendetwas aus dem Osten Europas. Vielleicht noch weiter weg.
    Er wirft einen Blick auf sein Handy. Keine Nachrichten. Weder von zu Hause noch von der Kleinen. Abends wird er noch mal bei den Eltern anrufen. Oder morgen. Sie würden bestimmt anrufen, wenn sie etwas Neues wissen.
    Die Straßenbahn schaukelt gemütlich von einer Seite auf die andere. Wayne sieht den angestrahlten Fernsehturm. In Prag gibt es an die tausend Türme und nur einer davon ist hässlich – dieser hier. Im Laufe der Jahre hat sich Wayne an vieles gewöhnt. Der Anblick von Männern mit Haarbüscheln in der Nase stört ihn nicht mehr und auch der fettige Schweinebraten macht ihm nichts aus, nicht einmal die Prager Taxifahrer, die womöglich sogar sich selbst übers Ohr hauen würden, wenn sie dadurch ihre Erträge steigern könnten, bringen ihn noch aus der Fassung. Wayne hat sich an die dreckigen Straßen, an die Hundescheiße auf dem Gehsteig und an die übertrieben stark geschminkten Frauen gewöhnt. Nur der Anblick des Fernsehturms von Žižkov ist ihm immer noch fremd.
    Der Beinstumpf eines riesigen Tiers, eines Tiers, das in grauer Vorzeit auf Prag getreten ist, dort stehen blieb, einer infektiösen Krankheit erlag und aus seinen offenen Wunden kleine schwarze Babys gestreut hat. Ein Beinstumpf im Scheinwerferlicht, wie in Disneyland. Man kann ihm in Prag nirgendwo entkommen.
    Gut, dass es die Kleine gibt.

VIELLEICHT JA, VIELLEICHT NEIN
    S ie sind sich bei einem Konzert im Roxy begegnet. Welche Band an dem Abend gespielt hat, das weiß Hana nicht mehr. Die meiste Zeit haben sie an der Bar gestanden und gequatscht.
    Sie kann nicht sagen, dass er ihr nicht gefallen hat. Aber dass er ihr besonders gut gefallen hätte – so war es auch nicht. Sie mochte sein Czenglisch. Seine Suche nach sich selbst. Und seinen Hintern, der ihr auffiel, als er auf die Toilette ging. Ein knackiger Männerhintern. Den sie immer noch mag.
    Als Hana Wayne kennengelernt hat, dachte sie, er wäre ein Mann für eine Nacht. Oder für ein verlängertes Wochenende. Sie hätte sich nicht vorstellen können, mit ihm drei Monate zusammenzubleiben, ein halbes oder womöglich ein ganzes Jahr, sie hätte nicht gedacht, dass sie sich mal während eines längeren

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