Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Moldau tauchte sie dann doch nicht auf. Stattdessen betrank sie sich mit Milena. Am nächsten Morgen entdeckte sie auf dem Schwarzen Brett eine Ausschreibung für ein Stipendium in Deutschland.
Sie fuhr nach Berlin. Die Uni lag am anderen Ende der Stadt, sie fuhr mit dem Fahrrad hin und es ging ihr gut. Vielleicht lag es an den unendlich langen Straßen, in denen sie ewig in die Pedale treten musste, vielleicht auch an dem Wind, der hier von der Nordsee kommt und die Stadt frisch und beweglich macht und dafür sorgt, dass es dort auch im heißesten Sommer nie richtig drückend wird.
In Berlin gab es auch ein paar Bettgeschichten. Mit einem jungen Mann, der vor der Mensa alte Bücher verkaufte und von dem sie sich die deutsche Ausgabe von Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins kaufte, um das berühmteste tschechische Buch endlich gelesen zu haben. Mit einem Typen, der im linken Auge einen Tick und quer über dem Bauch eine riesige Narbe hatte, beides stammte von einem Motorradunfall, sie las ihm vor dem Einschlafen Die Unerträglichkeit vor. Und schließlich mit einem, der noch nie mit jemandem geschlafen hatte, er war vier Jahre jünger als Hana und wollte nach dem Orgasmus nicht glauben, dass das alles gewesen sein sollte. In seinem Bett hat sie aus Versehen Die Unerträglichkeit liegen lassen, und das war gut so. Aber wenn sie es sich mal vor dem Einschlafen machte, dachte sie dabei an ihn.
Der Große hörte allmählich auf, sie in ihren Träumen zu verfolgen. Und als sie wieder in Prag auftauchte, war er nicht mehr da. Er war für immer und ewig weg. Er war einem Arbeitsangebot in Hamburg gefolgt und hatte die Familie wie eine Jause eingepackt.
Endlich hatte Hana Ruhe.
Als sie Wayne kennenlernte, war der Große komplett vergessen. Damals schlief sie mit drei Typen gleichzeitig und wollte mit keinem von ihnen zusammen sein. Sie nahm an, mit Wayne würde es genauso sein. Aber dann verliebte sie sich doch in ihn, obwohl sie nie das Gefühl loswerden konnte, immer noch auf etwas Besonderes zu warten. Auf etwas Endgültiges, auf die große Liebe.
Wenn Wayne sie über ihre Vergangenheit ausfragte, wich sie aus. Die Narben an ihrem Handgelenk erklärte sie mit einer Glastür, durch die sie als Schülerin geflogen sei. Wenn er über die Zukunft etwas wissen wollte, hüllte sie sich in Schweigen. Er wollte Pläne schmieden, sie nicht.
Noch an dem Tag, als sie die Wohnung auf der Letná bezogen haben, hielt sie ihre Beziehung zu Wayne für eine Art angenehmen Zeitvertreib. Damals haben sie eine große Party gegeben und sind gegen Morgen, Arm in Arm, zwischen leeren Flaschen und Müll auf dem Fußboden gelandet. Erst in dem Moment hatte Hana begriffen, dass sich etwas verändert hatte. Dass etwas in die Brüche gegangen war.
Sie dachte, dass sie und der Große endlich miteinander abgeschlossen hätten, aber gestern Abend meldete er sich zurück. Gestern in Lissabon. Vielleicht war Thomas’ schwarze eckige Brille schuld, vielleicht die Art, wie er seine Zigarette hielt und die Asche abklopfte, vielleicht war es einfach nur der Bewegungsdrang, den er in Hana entfachte.
Es war Thomas, durch den der Große wieder auf der Bildfläche auftauchte. Es war Thomas, der die Gestalt des Großen angenommen hatte, um sie endgültig zu erlösen. Es war Thomas, durch den sie sich endlich vom Großen distanzieren und frei machen konnte.
Thomas. Nicht Wayne.
MUSIK DER STILLE
V ladimír liebt Musik. Ein Leben ohne Musik kann er sich nicht vorstellen. Als Fünfjähriger hat er mit Flöte angefangen. Später kam Klavier dazu. Gitarre. Geige. Klarinette. Und eine Menge anderer Instrumente.
Er hat die städtische Musikschule besucht, bald aber den Unterricht geschwänzt, er hasste das ewige Hoch- und Runterspielen langweiliger Etüden, das allmähliche Wegradieren des Talents durch Menschen ohne Talent, die es gerade noch zum Musiklehrer gebracht hatten.
Vladimír liebte Musik. Auf dem Konservatorium ließ er sich vom Schlagzeug verzaubern und auch in der Philharmonie wurde er als Percussionist engagiert. Er fand es toll, zum vollen Klang des Orchesters beizutragen, die Lücken in den Kompositionen zu füllen, zu spielen und nicht zu spielen, die Musik durch Details zu bereichern, sich in langen Pausen in Schweigen zu hüllen und dann wieder in das Stück zurückzukehren und ihm weitere kleine Details beizufügen, durch welche die großen Dimensionen überhaupt erst entstehen können.
Seine ersten Percussions fand er im
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