Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Europa-Flugs mit dem Gedanken beschäftigen würde, Wayne zu heiraten und mit ihm Kinder zu kriegen, dass sie die ganze Flugzeit vergnügt den Gedanken hin und her wenden und überlegen würde, ob sie zwei oder drei Kinder haben sollten, um die Idee dann doch in den Wolken unter sich zu begraben. Sie hat nie daran gedacht, gemeinsam mit Wayne zu altern.
Wie konnte es bloß passieren, dass sie zusammengeblieben sind? Vielleicht ist sie wie Milena, vielleicht hat auch sie keine Lust, immer wieder neue Leute kennenzulernen und damit Zeit zu vergeuden.
Wayne hat sie damals auf einen Schnaps eingeladen, sie wollte aber Weißwein haben. Von dem sie dann eine ganze Flasche getrunken hat. Er war gerade dabei, zusammen mit einem Freund eine Anwaltskanzlei zu gründen, und war sich unsicher, ob die Idee gut war. Er wusste gar nicht, was er wirklich machen wollte. Vielleicht fand sie damals genau das sympathisch. Denn das kannte sie von sich selbst auch.
Anders als sein Anwaltskollege wollte er gut Tschechisch sprechen. Er fragte, ob Hana seine Lehrerin sein möchte.
»Why nicht?«, sagte sie. Er lachte und stieß mit ihr auf die erste Stunde an. Die fand noch in derselben Nacht in seiner Wohnung statt. Sie haben die ganze Zeit englisch-tschechisch gesprochen. Am nächsten Morgen hat er sie in ein kleines Café auf der anderen Straßenseite zum Frühstück eingeladen. Dort setzten sie das Sprachspiel fort.
Warum not.
Warum yes.
Heute denkt Hana, sie hat sich von ihm breitreden lassen.
Maybe ein wenig.
Maybe ziemlich.
Früher hat sie es toll gefunden, mitten im Satz ins Englische umzuschalten. Volleyball mit Wörtern zu spielen. Aufschlag. Den Ball der Sprache übers Netz zu befördern. Zu schmettern. Und heute? Wenn sie das bloß wüsste …
Lehrerin. Sie wollte tatsächlich mal Lehrerin werden, irgendwann in der siebten oder achten Klasse. Sie konnte sich nur nicht entscheiden, welches Fach sie unterrichten wollte: Geschichte, Tschechisch oder vielleicht Deutsch? Als sie gesehen hat, wie ihre Deutschlehrerin am Ende des Schuljahrs zusammengeklappt ist, hat sie von der Idee Abstand genommen. Danach hat sie nie wieder über ihre berufliche Zukunft nachgedacht. Stattdessen hat sie viel gelesen und gejoggt, allerdings ließ sie den Leistungssport sein, sie lief nur zu ihrem Vergnügen, es machte ihr Spaß, zwei- bis dreimal die Woche durch die Wälder und Berge hinter der Stadt zu joggen, um Endorphine auszuschütten, wie sie es nannte. Kulturwissenschaften hat sie nur deswegen studiert, weil sie sich weder für Kunstgeschichte noch für Geschichte gut genug fühlte, auch Philosophie oder ein reines Sprachenstudium fand sie zu anspruchsvoll – und hier gab es von jedem dieser Fächer nur ein bisschen. Auf eine bequeme Art setzte das Studium der Kulturwissenschaften das Gymnasium fort, es verlängerte Hanas Spaziergang durch die Allee der Unentschlossenheit, die sie von ihrer Gebirgsstadt in das 165 Kilometer entfernte Prag geführt hatte.
Bevor sie anfing zu studieren, war sie nur dreimal in Prag gewesen. Drei Tagesausflüge. Einmal während der Grundschule, einmal mit ihrer Gymnasialklasse kurz vor dem Abi und irgendwann dazwischen mit ihren Eltern. Die sich die ganze Hinfahrt stritten. Die Rückfahrt über auch. Hana sah die ganze Zeit aus dem Fenster, beobachtete, wie Regentropfen die Autoscheiben herunterkullerten, und fragte sich, warum sie allein auf dem Rücksitz saß und keine Geschwister hatte und wohl auch nie welche haben würde. Mehr hat sie von dem Familienausflug in die Hauptstadt nicht behalten.
Gleich bei der zweiten Vorlesung in Kunstgeschichte hat sie sich verliebt. Er dozierte über die Kultur des antiken Griechenlands, der Inhalt seiner Worte interessierte Hana allerdings nicht, er faszinierte sie als Mann. Zwei Monate später schliefen sie schon miteinander. Es folgte ein halbes Jahr voller geheimer Verabredungen. In seinem Büro an der Uni. In der großen leeren Wohnung eines seiner Freunde, in der es nur eine Couch, eine kleine Musikanlage und eine trockene Palme in einem riesigen Blumentopf gab. Und im Studentenwohnheim, wenn Milena übers Wochenende nach Hause fuhr.
Er war sechzehn Jahre älter, hatte eine Frau, ein kleines Kind und eine Altbauwohnung im Stadtzentrum. Und Hana noch dazu. Er versprach, sich von seiner Frau zu trennen, für Hana und ihn eine gemeinsame Wohnung zu mieten. Ein kleines Apartment. Ruhig, irgendwo am Stadtrand, in einem Plattenbau.
Er ging mit ihr ins Theater, in
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