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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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hochklappte und einen Blick hineinwarf. Und ihr entging nicht, dass Annie jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgte. Ja, irgendetwas ging zwischen den beiden vor sich, ganz eindeutig.
    »Smudge hat doch bestimmt Durst«, sagte Johnny zu Annie, woraufhin sie nickte und ihr Nähzeug sinken ließ.
    »Smudge«, rief er. »Deine Mum will, dass du herkommst.«
    Gehorsam ging Annie die Treppe hinunter. Als das Kapitel zu Ende war, sprang Smudge auf, kam über das Deck gerannt, wobei sie unterwegs ihren Ungeheuer-Speer aufhob, und verschwand in der Kajüte, während Frank mit dem Buch auf dem Deck zurückblieb.
    Johnny übernahm das Ruder von Clem, die sich auf die Backbordseite zurückzog und mit dem Rücken zur Kabine aufs Deck setzte. Sie griff nach ihrem Buch und begann zu lesen. Von Zeit zu Zeit sah sie zu Johnny hinüber, der die Segel ein wenig fierte. Der Wind hatte merklich abgeflaut, doch Johnny schien sich nicht weiter daran zu stören. Er war mit den Gedanken ganz woanders, was ihr ganz und gar nicht gefiel. Er sollte mit den Gedanken dort sein, wo auch sie war.
    Als sie nach einer Weile aufstand, um auf die Toilette zu gehen, stellte sie erstaunt fest, dass Annie Smudge ins Bett brachte. Das kleine Mädchen wirkte todmüde, obwohl es noch nicht einmal dunkel war. Clem machte Tee für alle und trug ihn an Deck, wo Annie mittlerweile ihre Flickarbeit wieder aufgenommen hatte. Johnny saß mit einer Zigarette in der Hand am Ruder, während er in der stetig schwindenden Brise die Segel weiter fierte. Sie setzte sich mit ihrem Tee neben ihn und schloss die Augen. Die Geschwindigkeit fühlte sich sehr angenehm an. Ihr blieb keine andere Wahl, als darauf zu vertrauen, dass sie die richtige Entscheidung treffen würde, wenn der Moment gekommen war. In diesem Augenblick spürte sie, wie der Wind abrupt erstarb. Sie schlug die Augen auf und sah, wie Johnny seinen Zigarettenstummel über die Reling schnippte. Ihr Blick fiel auf den Kompass. Er hatte den Kurs um etwa zwanzig Grad gedreht, weg vom Wind.
    »Der Wind ist abgefallen. Frank?«, rief er. »Der Wind ist abgefallen.«
    Frank ließ das Buch sinken und blickte auf die endlose See hinaus, dann stand er auf und kam mit dem Buch in der Hand über das Deck. Die untergehende Sonne tauchte ihn in goldenes Licht. Inzwischen war ihr alles an ihm so vertraut – sein Körper, seine Bewegungen, sein leichtes Hinken, die Art, wie er sich über den Bart strich, wie er redete. Sie hatte das Gefühl, als würde sie ihn bereits seit einer halben Ewigkeit kennen. Das ist doch etwas Schönes . Sie durfte ihrer Liebe keine Grenzen auferlegen. Liebe kennt keine Grenzen, keine Einschränkungen . Sie musste anfangen, über den Tellerrand zu blicken, so wie er. Sie liebte beide Männer, daran hatte sie keine Zweifel. Und es war nichts, dessen man sich zu schämen brauchte. Alles würde gut werden.
    »Es wird spät. Sollten wir die Segel nicht langsam einholen?«, fragte Frank, sah zu ihr herüber und lächelte, als hätte er ihre Gedanken erraten.
    »Wenn du willst, können wir gern den Motor anwerfen und den restlichen Weg nach Datça fahren«, erwiderte Johnny. »Eigentlich sollte es nicht mehr weit sein. Oder wir segeln doch noch ein Stück. Ich habe kein Problem damit.«
    »Nein, wir nehmen den Motor.«
    Frank tauchte unter dem Baum hindurch und setzte sich gegenüber von ihr neben das Ruder. Sie war sich seiner Nähe überdeutlich bewusst. Neben ihm wirkte Johnny wie ein Schuljunge.
    Johnny wendete das Boot ein klein wenig, dann holte er das Großsegel ein und trat beiseite, um Frank das Ruder zu überlassen. Alle drei warfen einen Blick auf den Kompass. Mittlerweile fuhren sie geradewegs nach Osten, die Sonne im Rücken.
    »Diesen Kurs halten.« Johnny tippte auf den Kompass. Er stand mit dem Rücken zu ihnen auf der Kombüsentreppe und blickte aufs Meer hinaus. Manchmal hatte sie das Gefühl, er lasse sie bewusst mit Frank allein, als lege er es förmlich darauf an, dass sie zusammen waren.
    Frank lehnte sich zu ihr herüber. Im ersten Moment glaubte sie, er würde sie berühren wollen, doch er startete lediglich den Motor, dessen tiefes Knattern sich nach den langen Stunden des lautlosen Dahinsegelns harsch und unangenehm anfühlte. Wieder ließ Annie ihr Flickzeug sinken und schaute zu Frank hoch.
    Plötzlich gab der Motor einen lauten Knall von sich und erstarb. Einen Moment lang dachte Clem, sie seien mit etwas kollidiert – ihre größte Angst war, mitten auf dem offenen

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