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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Mittagessen. Er holte den Anker ein, und Frank warf den Motor an. Eine Zeit lang schipperten sie an der Küste entlang, während Johnny auf das Zeichen wartete, die Segel zu setzen. Er saß gegen den Mast gelehnt neben Clem und genoss die warme Brise. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick zu Frank hinüber, um zu sehen, ob er bereit war. Ohne seine Erlaubnis durfte er die Segel nicht setzen. Das wäre so, als würde man sich im Haus eines Fremden unaufgefordert an der Hausbar bedienen. Er fragte Clem, worauf Frank wohl wartete.
    »Nichts, was er tut, geschieht ohne Grund«, antwortete Clem und lutschte lautstark ihr Pear Drop – sie hatte einen Vorrat aus England mitgebracht und ihn auf ein Bonbon pro Tag rationiert, damit er für drei Monate hielt. Sie war süchtig nach den Dingern. »Hast du das noch nicht gemerkt?«
    »Doch«, meinte Johnny und streichelte abwesend ihr Bein. Sie sahen zu Frank hinüber, der mit einer Zigarette im Mundwinkel am Ruder stand, während sein dunkles Haar wild im Wind flatterte – beinahe wie Gregory Peck in Moby Dick.
    »Er hat uns gerettet, stimmt’s?«, fuhr sie fort.
    Johnny sah sie an. Genau dasselbe hatte auch Annie vorhin gesagt.
    »Neulich Abend, meine ich …«
    »Ja, wahrscheinlich«, stimmte er zu und nahm ihre Hand. »Trotzdem finde ich, wir sollten im nächsten Dorf von Bord gehen und nicht bis zur nächstgrößeren Stadt warten. Sonst sitzen wir hier noch eine ganze Woche fest.«
    Clem wandte sich ihm abrupt zu. »Was ist los? Gefällt es dir hier nicht?«
    »Doch, doch«, wiegelte er ab und versuchte, gelassen und vernünftig zu klingen. »Ich will nur ihre Gastfreundschaft nicht überstrapazieren, das ist alles.«
    »Aber das tun wir doch nicht. Frank hat gesagt, wir können so lange bleiben, wie wir wollen.« Sie hielt inne und reckte das Gesicht der Sonne entgegen, als ihr ein Gedanke zu kommen schien. »Wieso? Hat Annie etwas gesagt? Was ist vorhin an Land passiert?«
    »Gar nichts«, antwortete er viel zu schnell. Sein Magen verkrampfte sich. Er drückte ihre Hand. »Gar nichts ist passiert.«
    »Weshalb dann die Eile?« Sie blickte zum Ufer. Ihm fiel auf, dass die Spitzen ihrer Wimpern von der Sonne ausgebleicht waren. Er folgte ihrem Blick. Gar nichts . Das arrhythmische Heben und Senken des Bugs der Little Utopia hatte etwas Beruhigendes und lullte sie ein.
    »Irgendwie will ich noch nicht weg von hier«, sagte sie und strich über seine Finger. »Ich habe das Gefühl, als wäre der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen. Lass uns warten, bis wir eine richtige Stadt finden.«
    Er nahm ihren Vorschlag mit Erleichterung und Besorgnis zugleich zur Kenntnis. Wäre die Sache mit Annie vorhin nicht passiert, würde er ihr aus vollem Herzen zustimmen. Diese Leute hatten etwas an sich, das sie von anderen unterschied. Etwas, das sie reizvoll machte, attraktiv. Doch die Attraktivität hatte nichts mit körperlicher Anziehung zu tun – na ja, irgendwie schon, aber sie schien sich ebenso auf einer tieferen Ebene abzuspielen. Noch verstand er nicht genau, woraus sie bestand. Er wusste nur, dass er sich fühlte, als wäre er eine Ewigkeit durchs Meer geschwommen und als hätte ihm erst jetzt jemand eine Tauchermaske und einen Schnorchel geschenkt.
    »Okay«, sagte er. Zumindest hatte er es versucht. »Na ja, entscheiden wir spontan.«
    »Richte dich bloß nicht zu häuslich ein da hinten«, rief Frank aus dem Cockpit. »Sie gehört ganz dir.«
    Johnny sprang auf und machte sich daran, die Taue zu lösen. »Aye, Aye«, rief er und zog das Hauptsegel auf, doch es klemmte, sodass er sich mit seinem Gewicht dagegenstemmen und einen Fuß am Mast abstützen musste, um es loszubekommen. Das Segel war steif, makellos sauber und blähte sich fast augenblicklich auf. Der Wind hatte ein wenig gedreht, sodass sie dagegen segeln mussten.
    »Los, in den Wind, Frank«, schrie Johnny, doch Frank konnte ihn über das Dröhnen des Motors nicht hören. »Clem, dreh sie um, okay?«
    Clem rannte los. Frank machte den Motor aus und verschwand unter Deck, während Clem das Ruder übernahm und das Boot in den Wind ausrichtete. Das Segel flatterte heftig, als Johnny es setzte. Er löste das Tau, holte das Hauptsegel ein und rollte das Genuasegel auf. Annie und Smudge kauerten auf der Backbordseite und verfolgten jede seiner Bewegungen; wie er auf dem Deck herumlief, die Segel überprüfte, nach oben spähte, sich über die Reling beugte oder Clem irgendwelche Anweisungen zurief. Frank stand in

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