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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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zusammen.« Sie lächelte ihn an, aber er erwiderte das Lächeln nicht.
    Stattdessen wandte er den Blick ab. »Wir lassen uns scheiden, Clemmie.«
    »Was ist das? Scheiden lassen?«
    »Herrgott noch mal, du weißt doch, was eine Scheidung ist.« Plötzlich klang er verärgert. »So wie Onkel Tim und Sandy. Wir trennen uns.« Hektisch nahm er einen Zug von seiner Zigarre und stieß den Rauch aus.
    Sie sah ihn verwirrt an. Er musste sich irren. »Aber Onkel Tim und Sandy mögen sich nicht mehr. Sandy hat Marks Zaubertafel aus dem Fenster geworfen. Aber du und Mummy werft doch keine Sachen aus dem Fenster.«
    Sie wartete darauf, dass er sagte: Ja, du hast völlig recht. Ich wollte dich nur auf den Arm nehmen . Aber das tat er nicht.
    »Wir werden uns trotzdem noch sehen.« Er lächelte, doch es war ein angespanntes Lächeln.
    Davon ganz abgesehen – natürlich würden sie sich weiterhin sehen; schließlich war er ihr Vater. Allmählich machte sie sich Sorgen. Es gefiel ihr gar nicht, wie er sie ansah, so traurig. Irgendwo tief in ihrem Innern spürte sie, wie ihr etwas zu entgleiten drohte. So als würde sie den Halt verlieren, wie gestern im Walzerglück. Sie musste sich gut festhalten. Bloß nicht loslassen! Sie klammerte sich an seiner Hand fest, als die Panik über ihr zusammenschlug.
    »Liegt es an mir? Weil ich immer so unordentlich bin? Oder an meinen Sammelschachteln? Du darfst nicht nach Somerset gehen! Ich kann auch aufhören, Sachen zu sammeln, wenn du willst.«
    Der Wind hatte ihm die Tränen in die Augen getrieben, und seine Stimme klang ganz anders als sonst. »Nein, Schatz. Das ist nicht der Grund. Du musst weiterhin Sachen sammeln.«
    Sie drückte noch fester zu, doch er reagierte nicht auf die Berührung. Seine Hand war schlaff und leblos. Der Wind erfasste den Rauch, der zwischen seinen bebenden Lippen hervorquoll, und riss ihn fort. Er sah ihr ins Gesicht, doch das gefiel ihr ebenso wenig, denn sie konnte das Ende in seinen Augen erkennen. In diesem Moment begriff sie. Schlagartig verbanden sich die Punkte zu einem Bild, und ein riesiges Ungeheuer ragte vor ihr empor. »Du verlässt uns«, sagte sie.
    Er stritt es nicht ab, sondern stand lediglich da, den Blick auf den Boden geheftet, die Hand noch immer um ihre Finger gelegt. Dann hob er den Kopf und blickte sie an. Und für den Bruchteil einer Sekunde erkannte sie die Angst in seinen Augen. Er hatte Angst vor ihr. Das war alles; die einzige Macht, die sie besaß. Alles andere war nutzlos, völlig egal, was sie sagte oder tat. Ihre Meinung, ihre Bedürfnisse, ihre Gefühle spielten nicht die geringste Rolle für ihn. Sie war nicht wichtig. Er hatte seine Entscheidung gefällt. Sie hatten die Entscheidung gefällt. Sie ließ seine Hand los.
    »Das wird schon, Clemmie.« Er ließ sich auf ein Knie sinken, als wollte er sie zum Tanz auffordern, doch sie wich zurück. Sie wollte nicht tanzen. Er streckte die Hand nach ihr aus.
    »Ich hasse dich«, spie sie ihm entgegen, wirbelte herum und lief so schnell davon, wie sie nur konnte. Ihre Absätze klapperten auf dem Asphalt. Sie hörte, dass er ihr nachlief, und rannte in das Maisfeld rechts von ihr, quer durch die hohen Stauden mit den grünen Blättern, die über ihr zusammenschlugen. Sie spürte die Tränen über ihre Wangen laufen. Immer weiter lief sie durch das endlose Grün, Monkey und den Benzinkanister immer noch in den Händen, behände wie ein Vögelchen, während der Schlamm an ihren braunen Schuhen kleben blieb und sie zwang, ihr Tempo zu drosseln.
    »Clemmie! Clemmie! Komm zurück!«, hörte sie ihn hinter sich rufen.

6 happy birthday

    Als er aufwachte, lag er einen Moment lang ganz ruhig da, ehe die Erinnerung an die Vorkommnisse des vergangenen Abends wie Abwasser aus einem stinkenden Kanal sein Gehirn flutete. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass er Schlaf finden würde, aber offensichtlich hatte er sich geirrt. Jemand hatte einen Schlafsack über ihn ausgebreitet – eine zärtliche Geste, die er dankbar zur Kenntnis nahm, wer auch immer es getan hatte. Er setzte sich auf und ließ den Blick über das reglose Wasser und den weißgoldenen Sommerhimmel schweifen, während er mit großer Erleichterung feststellte, dass die Erkenntnisse des Vorabends über Nacht etwas von ihrer Unumstößlichkeit verloren hatten. Im harschen Licht des Tages waren sie zu vagen Schemen verblasst, mit weichen Konturen, von Zweifeln verwischt.
    Er und Clem mussten lediglich von Bord gehen, dann wäre

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