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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Frank ein Mann war, der den Anschein von Tiefgang erwecken wollte, in Wahrheit jedoch ein Hochstapler und elender Betrüger war.
    Er blickte nach Süden, zu den hohen, majestätischen Bergen und ihren Schatten auf der glitzernden Wasseroberfläche, die sich verzerrten, wann immer die Ruderblätter ins Wasser tauchten – ein zauberhafter Anblick, aber er hatte nur einen einzigen Wunsch: fliehen. Doch er saß hier fest, in seiner eigenen Schneekugel, in einer zu Eis erstarrten Zeitkapsel, aus der es kein Entrinnen gab.
    Er ruderte ans Ufer, wo sie ausstiegen und das Boot ein Stück den Strand hinaufzogen. Er nahm Smudge bei der Hand, um sich mit ihr und Granny auf die Suche nach Treibholz zu machen, während Clem und Frank zurückblieben, um das Lagerfeuer in Gang zu bringen.
    »Hey, Johnny«, sagte Frank, als sie mit einem Armvoll Holz zurückkehrten, und musterte ihn mit schief gelegtem Kopf. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er, packte einen Ast und zerbrach ihn mit einem lauten Knacken sauber in zwei Teile.
    Johnny fuhr vor Schreck zusammen. »Mir geht es gut, Frank.«
    »Tu doch nicht so, als wärest du ein Fremder.« Franks dunkle Augen waren unergründlich.
    »Nein, natürlich nicht.« Er wollte nicht mit ihm reden und ihm dadurch Gelegenheit geben, in sein Inneres zu blicken. »Soll ich Annie holen gehen?«, fragte er.
    »Klar«, sagte Frank. »Danke.«
    Johnny kehrte zum Beiboot zurück und schob es ins Wasser. Er sprang hinein und ruderte zur Little Utopia zurück. Sie mussten weg von hier. Es musste doch einen Weg geben. Was, wenn sie einfach das Beiboot klauten und losruderten? Sollte weiterhin komplette Windstille herrschen, würden sie es schaffen, in einer Woche die nächstgrößere Stadt zu erreichen. Oder sollten sie es lieber auf dem Landweg versuchen? Vielleicht könnten sie auch zu der Hütte der alten Frau zurückrudern. Aber das würde ihnen auch nichts nützen – dort war nichts, keine Transportmöglichkeit, kein Dorf, nur ein alter, magerer Esel. Er würde später einen Blick auf die rudimentäre Karte werfen und herausfinden, wo genau sie waren. Doch ihm war klar, dass sein Plan völlig idiotisch war. Er machte sich völlig umsonst Hoffnungen. Die Little Utopia hätte sie im Handumdrehen eingeholt. Also blieb nur eines: Geduld haben.
    Clem saß am Strand und sah zu, wie Frank geschickt den Holzspieß durch das bleiche Fleisch des mageren Hühnchens bohrte, um es dann über die Feuerstelle zu hängen. Smudge, nackt bis auf ihre Captain-Hook-Jacke, spielte im seichten Wasser mit ihrem Fischernetz und ihrem Monsterspeer. Dann folgte ihr Blick Johnny, der mit dem Beiboot zur Little Utopia zurückruderte, die Stirn in tiefe Sorgenfalten gelegt, während er sich Meter um Meter von ihr entfernte. Sie spürte die wachsende Kluft zwischen ihnen, auch wenn sie sich noch so sehr darum bemühten, sie zu ignorieren. Sie war froh, dass er an Deck geschlafen hatte und nicht nach unten gekommen war, weil er Sex mit ihr haben wollte. Das war neu. Sie spürte, dass sie sich veränderte. Bis jetzt hatte sie Johnny stets für unverwundbar gehalten. Sie hatte geglaubt, sie sei diejenige mit den Makeln, wohingegen er absolut perfekt war. Doch das stimmte nicht. Sie bemerkte die Risse in seiner schimmernden Rüstung, und auch wenn ihr bewusst war, wie oberflächlich das war, machte ihn diese Tatsache weniger anziehend für sie. Sie fand seine Eifersucht abstoßend; sie war ein überdeutlicher Beweis für seine mangelnde Reife. Früher hatte sie sich gewünscht, er möge eifersüchtig sein. Sie hatte es für einen Liebesbeweis gehalten, dabei unterstrich es lediglich, wie schwach er war. Er war noch ein Junge, kein erwachsener Mann. Er sollte von Frank lernen, statt eifersüchtig auf ihn zu sein. Frank würde sich nie dazu herablassen, einen anderen Menschen so zu brauchen. Genau dasselbe hatte ihr Vater auch über ihre Mutter gesagt. Damals hatte sie es noch nicht begriffen. Für sie war er ein herzloser, grausamer Mistkerl gewesen, der lediglich eine Ausrede gesucht hatte, um mit Liz zusammen sein zu können. Damals hatte sie bereits gelernt, ihn zu verabscheuen; ihre Mutter hatte es ihr mit ihren ständigen Sticheleien beigebracht. Doch es stimmte – ihre Mutter war eine Frau, die andere brauchte, sich von ihnen abhängig machte, besessen war von Banalitäten und unwichtigen Details. Clemmie konnte sich noch lebhaft an ihren Wutanfall erinnern, als sie herausgefunden hatte, dass Liz acht Jahre älter war als

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