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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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grünen Steine unter ihm vorüberglitten. Es war eine Wohltat, etwas anderes zu sehen, die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten, ihre Stimmen, ihre Existenz aus seiner Wahrnehmung zu verbannen. Er drehte sich wieder auf den Rücken, atmete aus und blickte zum Himmel hinauf, wo ein Schwarm winziger Vögel vorbeiflog. Schwarz hoben sich ihre kleinen Leiber vom Blau des Himmels ab. Sie waren frei, konnten selbst entscheiden, wohin sie wollten.
    Er sollte nicht lange allein bleiben. Laute Rufe ertönten – Smudge hatte die Gelegenheit für ein wenig Abwechslung beim Schopf gepackt und kam auf ihn zugeschwommen. »Johnniiiiiii«, rief sie. »Waaaaaarteeeee!«
    Sie sah so klein und verletzlich aus, wie sie auf ihn zugepaddelt kam. Er schwamm zu ihr und streckte die Arme nach ihr aus. Sie war so ahnungslos, so vertrauensselig, so felsenfest von der Rechtschaffenheit anderer überzeugt, so leicht zu betrügen. Er sah, dass Frank sie vom Ufer aus beobachtete, und fragte sich flüchtig, ob all das Teil seines perversen Plans war. Ob dies Smudges Schicksal sein sollte – von einem Mann zum nächsten weitergereicht zu werden. Natürlich könnte Johnny das Mädchen retten, wenn er wollte. Er könnte sie, Clem und Annie unter einem Vorwand ins Beiboot verfrachten, zur Little Utopia zurückrudern und Frank seinem Schicksal überlassen. Aber Smudge war nicht sein Problem, sondern Annies. Für ihn stand allein Clem an oberster Stelle.
    Smudge schwamm in seine Arme, ein lachendes, zappelndes, nasses, nacktes Bündel. Er fragte sich, ob dieses glückliche Geschöpf überhaupt gerettet zu werden brauchte. »Ich hab ein Ungeheuer gefunden, Johnny.«
    Das habe ich auch.
    »Und hast du es mit deinem Speer getötet?«
    »Nein, ich habe es laufen lassen.« Ihre Wimpern waren verklebt, was ihnen etwas Puppenhaftes verlieh. Sie war so perfekt, so zerbrechlich. »Los, du musst das Ungeheuer spielen! Los!«
    Gehorsam tauchte er unter und blieb einige Momente reglos im Wasser liegen, ehe er sie packte und mit einem grollenden Schrei in die Luft warf. Sie quiekte vor Entzücken und Furcht. Er konnte es schaffen. Er konnte mitspielen. Einen Tag lang.
    Johnny lag neben Clem auf seinem Handtuch. Sie las ihr Buch – irgendetwas von einem Krishna irgendwas, das Frank ihr geliehen hatte. Inzwischen hatte das Gefühl der Leere ein wenig nachgelassen. Er drehte sich eine Zigarette und sah zu Smudge hinüber, die im seichten Wasser lag und summend vor sich hinträumte. Aus dem Augenwinkel bemerkte er Frank, der am Feuer saß und das Hühnchen briet. Er sah seine spitzenlosen Finger, die Vertiefungen in seinem Rücken – stete Erinnerungen an seine abscheulichen Verbrechen. Annie, übertrieben darauf bedacht, sich das Ausmaß ihrer Betrunkenheit nicht anmerken zu lassen, hatte sich reichlich ungraziös auf die Decke sinken lassen, schenkte Kaffee aus wie eine volltrunkene Mary Poppins. Sie reichte Frank noch eine Tasse Kaffee. Es war erbärmlich, mit ansehen zu müssen, wie sie sich bei ihm lieb Kind zu machen versuchte. Sie mussten so schnell wie möglich weg von hier.
    Er blickte wieder zum Horizont, wo sich hauchfeine Wolkenschlieren gebildet hatten. Smudge kam aus dem Wasser, sprang ihren Vater an und presste ihren nassen Körper gegen seinen Rücken. Frank und Johnny fuhren zusammen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Instinktiv griff Frank hinter sich, um sie zu stützen. »Igitt! Du bist ja ganz nass und kalt!«, rief er. »Weg! Runter da!«
    Johnny musste den Blick abwenden.
    »Ist das mein Huhn? Das das Ei für meinen Kuchen gemacht hat?«, fragte Smudge, rutschte neben ihn und beäugte das Huhn von unten.
    »Ja.«
    »Das Huhn, das die alte Frau getötet hat?«
    »Ganz genau«, antwortete Frank.
    »Das Huhn im Eimer?«
    »Genau das.«
    »Aber ich will, dass es wieder lebt.«
    »Tja, dafür ist es jetzt zu spät. Es ist tot, und in etwa einer Stunde werden wir es essen.«
    Sie rollte sich auf den Bauch, stützte die Hände in den Sand und starrte das Huhn an. »Also haben wir ihm alles weggenommen, seine Babyeier und die Federn, haben ihm das Genick gebrochen und es ertränkt, und jetzt essen wir es auch noch?«, fragte sie mit sachlicher Stimme, ohne einen Anflug von Vorwurf in der Stimme. Sie hatte einiges von ihrem Vater gelernt, das musste man ihr lassen.
    »Die Welt ist nun mal schlecht«, warf Johnny ein und wischte sich den nassen Sand von den Beinen. Offenbar hatte ihn das kurze Bad im kalten Wasser aus seiner

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