Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stille zwischen den Sternen

Die Stille zwischen den Sternen

Titel: Die Stille zwischen den Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
Vom Netzwerk:
verschlossen, oben am Mast blinkt ein rotes Warnlicht. Bis auf ein gelegentliches Knacken im Wald ist es still. Ich lege das Päckchen in den Abfallkorb und …

    Nichts mehr, aus, fini. Ich habe den ganzen Nachmittag gewartet und die halbe Nacht, es half nichts, die Erinnerung kam nicht zurück. Den Abfallkorb habe
ich deutlich vor Augen, sehe mich dort stehen, weiß sogar noch, dass meine Nase juckte. Aber dann reißt alles ab. Wie durchgehackt. Dann ist meine Geschichte zu Ende.
    Wenn ich richtig gezählt habe, sind zehn Seiten frei, bis der Teil von Doktor Bach beginnt. Bis auf zehn Seiten habe ich mich an ihn herangeschrieben. Gar nicht schlecht. Vielleicht folgt ja jetzt wirklich das, was er sich ausgedacht hat: »Zwei laufen durch den Wald. Ein Mädchen und ein Junge.«

    Und wenn ich seine Geschichte zwanzigmal lese - es tut sich nichts. Es bleibt die Lücke zwischen dem Ablegen des Päckchens im Abfallkorb und dem Moment, als mich die Sanitäter zwischen den Schlehdornbüschen gefunden haben.

    Kaum habe ich mich heute Morgen gewaschen, trifft es mich wie ein Schlag ins Gesicht: die Bombe! Die Bombe im Gasometer! Wenn man sie entdeckt, bin ich dran. Außerdem habe ich Angst, dass sie hochgeht, wenn jemand in der Nähe sein Funkgerät oder sein Handy benutzt.
    Ich schaue auf meine Armbanduhr. Frühstückszeit. Mir hängt der Krankenhausfraß schon zum Hals heraus.
    Soll ich nach der Visite zum Gasometer laufen? Gegen halb elf will die Logopädin zur Sprachtherapie kommen. Bis dahin muss ich zurück sein. Nur - wie soll ich unbemerkt aufs Dach des Gasometers steigen?
Woher soll ich ein Seil nehmen? Wie soll ich mich mit der Bombe unterm Arm zum Dach hochziehen, klapprig, wie ich noch immer bin? Hundert Meter senkrecht an einem Seil? Das schaffe ich nie!
    Als Doktor Norden ins Zimmer kommt, bin ich fast froh, dass ich für ein paar Minuten an was anderes denken muss.
    »Guten Morgen«, begrüßt er mich, ohne mir die Hand zu geben. »Wie geht’s?«
    Er mag mich nicht. Er glaubt immer noch, dass ich eine Show abziehe.
    Ich nicke. Nicht besonders heftig, aber so, dass er mit mir zufrieden sein kann.
    »Kopfschmerzen?«, fragt er. »Sehstörungen? Schwindel? Konzentrationsprobleme?«
    Ich schüttele den Kopf. Seit sie mich auf seine Station verlegt haben, stellt er immer dieselben Fragen.
    Er deutet auf das Frühstückstablett. Ich habe zwei Scheiben Brot mit Marmelade gegessen und eine Tasse dünnen Tee getrunken. »Hast du Appetit?«
    Dumme Frage, das sieht er doch.
    »Was ist mit dem Sprechen?«
    Fehlanzeige.
    Doktor Norden kratzt sich hinterm Ohr. Dann wendet er sich an die Schwester, die ihn begleitet: »Melden Sie den Jungen beim EEG an. Wenn das in Ordnung ist, entlassen wir ihn. Die logopädische Behandlung, und was er sonst noch braucht, kann er auch ambulant haben. Auf Wiedersehen.«

    Da liege ich nun mit meiner Angst. Was ist, wenn das Mischungsverhältnis in der Bombe doch nicht stimmt? Wenn der Gasometer bei einer Explosion in die Luft fliegt? Wenn dabei Menschen getötet werden? Ich schließe die Augen und sehe Rettungsambulanzen durch Schwatten rasen, sehe verkohlte Gesichter und verbrannte Haare, sehe Polizisten und Feuerwehrleute herumrennen und Hubschrauber auf dem Platz am Gasometer landen.
    Dabei habe ich doch bloß Stille gewollt, nichts als Stille!
    Es klopft, der Kommissar kommt herein. Ausgerechnet jetzt muss er mich besuchen.
    »Es ist zu warm, Jonas«, sagt er zur Begrüßung. »Sei froh, dass du hier drin bist.«
    Er holt sein Notizbuch aus der Hosentasche. »Hast du mir heute was zu sagen?«, fragt er.
    Nein, ich habe ihm nichts zu sagen.
    »Auf dem Weg hierher habe ich Doktor Norden getroffen«, sagt er. »Dir geht’s gut, hat er mir erzählt. Du wirst bald entlassen. Vielleicht schon morgen.«
    Morgen? Morgen kann es zu spät sein.
    »Ich habe gehört, dass du viel schreibst. Manchmal bis in die Nacht.«
    Ich zucke die Achseln. Wenn ich Winter von der Bombe erzähle, komme ich in den Jugendknast. Oder ich muss an den Wochenenden im Altersheim arbeiten wie der Michael aus der Parallelklasse. Der hatte ein Radio gestohlen. Was ist schon ein geklautes Radio gegen eine Bombe?

    »Wenn du willst, kannst du mir ja aufschreiben, was in der Nacht passiert ist«, sagt er.
    Ein bisschen muss ich lächeln. Was glaubt der Kommissar wohl, woran ich mich die ganze Zeit zu erinnern versuche?
    Winter versteht mein Grinsen offenbar falsch. »Ich kläre den Fall auf«, sagt er, und seine Stimme

Weitere Kostenlose Bücher