Die Stille zwischen den Sternen
Schweigen auffällt. Der Ferne, unser Geschichtslehrer, fragt mich nach den Kaiserpfalzen. Ausgerechnet! Es gibt nichts, was mich in diesem Moment weniger interessiert.
Trotzdem fallen mir Aachen und Goslar ein. Immerhin. Aber ich sage nichts. Ich kann einfach nicht. Es ist wie ein Versprechen, das ich mir selbst gegeben habe. Ich habe das Gefühl, dass mir was Schlimmes passiert, wenn ich es breche.
»Träumst du?«, fragt der Ferne.
Träumen? Ich denke daran, was ich heute tun werde.
»Steh auf, wenn ich mit dir rede!«, fährt er mich an. Das verlangt er sonst nie.
Langsam stehe ich auf.
»Also, was ist mit den Kaiserpfalzen?«
Ich gehe zur Tafel und schreibe »Aachen« und »Goslar« hin.
»Prima«, sagt der Ferne. »Du weißt doch was. Und warum sagst du nichts?«
Ich schweige.
»Setz dich, Jonas«, sagt er. »Vergiss bitte nicht, dass es auch fürs Mündliche Noten gibt. Wenn du mit mir nicht reden willst, bitte, das ist deine Entscheidung. Aber dann wundere dich nicht, wenn das Konsequenzen hat.«
In der großen Pause kommen die anderen aus meiner Klasse zu mir. Die Vorstellung scheint ihnen gefallen zu haben.
Aber Kim stellt sich vor mich. »Lasst ihn in Ruhe«, sagt er.
Als wir allein sind, fragt er: »Was soll der Kinderkram, Jonas?«
Kinderkram?
»Wieso musst du dich mit dem Ferne anlegen?«, fragt er weiter. »Gerade mit dem Ferne? Und wieso redest du nicht mehr? Kannst du mir das mal sagen?«
Na bitte, Kim hat also doch was mitgekriegt. Und warum spricht er erst jetzt mit mir darüber? Jetzt ist es zu spät. Viel zu spät.
Ich öffne den Verschluss meiner Wasserflasche, trinke und gehe auf den Hof.
»Dir ist ja nicht zu helfen!«, ruft Kim hinter mir her. Stimmt. Stimmt hundertprozentig.
Am Mittag beeile ich mich, nach Hause zu kommen. Sorgfältig überprüfe ich alle Kontakte, drehe die letzten Schräubchen fest. Dann packe ich die Bombe in meinen Rucksack und lege das Funkgerät und eine Taschenlampe dazu. Vor einem Sturz habe ich keine Angst. Das Gemisch explodiert nur, wenn ich das Funksignal gebe.
Ich bin ganz ruhig, nicht die Spur nervös. Die Bombe wird funktionieren, es kann gar nicht anders sein.
Um die Mittagszeit hält sich niemand in der Nähe des Gasometers auf. Ich lehne das Rad an den Zaun, krieche durch das Loch und schließe mit dem Dietrich auf.
Auf dem Boden sind noch meine Fußspuren zu sehen, das Licht der Taschenlampe tanzt darüber hinweg. In der Mitte des Raums knie ich mich hin, packe die Bombe aus und setze sie senkrecht auf den Boden.
Dann schließe ich die Eingangstür wieder ab und fahre zu einer Baustelle. Sie liegt nicht weit vom Gasometer entfernt, vielleicht sind es zweihundert Meter.
Das Funkgerät hat eine Reichweite von fünfhundert Metern, die Wände des Gasometers sind höchstens fünf Millimeter dick. Es wird keine Probleme geben. Die Bauarbeiter sitzen in ihrem Bauwagen und essen, die Luft ist rein. Wenn das Mittagsgeläut der Kirchen zu Ende ist, warte ich noch fünf Minuten.
Als die Glocken zu läuten beginnen, verlassen die Bauarbeiter den Container. Schade, hier wäre ein guter Ort für die Zündung gewesen. Schnell fahre ich zu einer alten Wellblechhütte, die mitten auf dem Platz steht, und mache mich dort bereit. Ich bin immer noch ruhig, nicht einmal mein Puls hat sich erhöht.
Fünf Minuten später gebe ich das Signal. Unwillkürlich ducke ich mich, warte auf die Explosion. Aber es passiert nichts. Ich höre Autolärm, die Geräusche der Baumaschinen, Kindergeschrei - nur dort drüben im Gasometer bleibt alles still. Ich versuche es ein zweites Mal - wieder ohne Erfolg.
Das Herz schlägt mir plötzlich bis zum Hals, nervös untersuche ich das Funkgerät, kann keinen Fehler entdecken. Das Empfangsteil in der Bombe habe ich hundertmal überprüft, es muss einfach funktionieren. Was ist da drin bloß schiefgelaufen? Oder sind die Stahlwände doch zu dick?
Auf einmal belebt sich der Platz um den Gasometer. Männer mit Messbändern und Zeichenblättern laufen herum. Ich warte, eine halbe Stunde, eine ganze. Die Vermessungsleute haben sich offenbar vorgenommen, den Rest des Tages hier zu verbringen. Und meine Bombe steht immer noch im Gasometer.
Zum Glück geht niemand hinein. Allmählich beruhige ich mich. Ob ich warte oder nicht, ich kann nichts tun, ich kann nicht verhindern, dass jemand die Bombe entdeckt.
Plötzlich habe ich Hunger, kriege weiche Knie. Ich werfe den Rucksack über und fahre nach Hause. Später werde ich
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