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Die Stimme der Erde

Titel: Die Stimme der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Die ist schon wieder weg, bevor die neuen Kleider fertig sind. Ich schicke sie in dem Kleid nach Haus, das du ihr gegeben hast. Als Gastgeschenk.«
    »Is aber 'ne Lady, Herr, und kein Waschweib.«
    »Kümmere dich gefälligst um deine Angelegenheiten, Alte!«
    Dienwald trat ins Freie. Die Luft war schwer von Feuchtigkeit. Nebelschwaden zogen über ihn hinweg. Bald würde es wieder regnen. Bis dahin könnte er noch eine Übung ansetzen: Lanzenstechen nach der Holzpuppe. Aber er hatte keine Lust. Unruhe erfüllte ihn. Er schritt zu den Wohnräumen mit den drei kleinen Zimmern. Eins davon wurde von Pater Cramdle benutzt. Der Priester pflegte hier auch Edmund zu unterrichten. Dienwald stieß die Tür auf und hörte die durchdringende Stimme seines Sohnes: »Is ja nur blöder Mist für Bauern!«

4
    Pater Cramdles sanfte Stimme klang ein wenig gereizt. »Master Edmund, Bauern können gar nicht lesen und schreiben. Und rechnen schon gar nicht. Dein Vater will aber, daß du es lernst. Also hör zu: Wenn ich jetzt elf Äpfel aus diesem Faß zu den sechs Trauben in diesem Faß lege, wieviel habe ich da insgesamt?«
    »Apfelmus mit Traubensaft!«
    Zunächst mußte Dienwald über den Witz seines Sohnes lachen. Edmund sah aber nicht nur so aus wie das Kind eines Tagelöhners, er war auch genauso ungebildet.
    »Gib Pater Cramdle eine anständige Antwort, Edmund! Sofort!«
    »Aber, Papa, is ja 'ne blöde Aufgabe, und ...«
    »Es ist und nicht is ja. Ich will so was nicht mehr von dir hören. Rechne die Aufgabe aus! Und sprich ordentlich!« Dabei fiel ihm ein, daß Philippa seinen Sohn ebenso zurechtgewiesen hatte. War der Junge schlecht erzogen? Er wollte, daß Edmund wenigstens so gut lesen lernte, daß ihn später die Kaufleute und sein eigener Verwalter nicht übers Ohr hauen konnten. Und er sollte wenigstens so gut rechnen können, daß er feststellen konnte, ob ihm der Müller die richtige Menge Mehl für sein Korn geliefert hatte. Dienwald selber konnte gerade seinen Namen schreiben und etwas lesen, wenn er die Worte laut buchstabierte, aber viel mehr auch nicht. Das bereitete ihm allerdings selten Kummer. Eigentlich nur dann, wenn er wie heute sah, welchen Eindruck die Unwissenheit seines Sohnes auf ihn machte.
    Edmund mußte sämtliche Finger und Zehen zu Hilfe nehmen, aber nach mühsamem Zählen kam er schließlich auf die richtige Summe.
    »Ausgezeichnet«, sagte Dienwald. »Pater, wenn Ihr meint, daß der Junge die Birkenrute braucht, um besser zu lernen, dann sagt es mir nur!«
    »Papa!«
    »Nichts da, kleiner Kampfhahn! Du bleibst hier und studierst bei Pater Cramdle, bis er es für richtig hält, den Unterricht zu beenden.«
    Damit ging Dienwald. Er wußte, daß der freundliche, aber leider sehr wenig energische Pater Cramdle seinen neunjährigen Jungen nicht in Zucht zu halten vermochte. Ich muß mich öfter einschalten, dachte er. Nur der Verwalter Alain wurde mit dem Jungen fertig. Aber Dienwald haßte Alain. Er sprach es niemals aus, ging ihm aber nach Möglichkeit immer aus dem Wege.
    Beim Verlassen der Wohnräume warf er einen Blick zum Ostturm hinauf und sah Philippa de Beauchamp aus dem schmalen Fenster schauen. Er konnte nur hoffen, daß sie sich jetzt voller Angst fragte, was er mit ihr anstellen würde. Bis morgen nachmittag sollte sie in der Zelle bleiben, um Gehorsam zu lernen. Sie war ihm zu stolz. Außerdem war sie zu groß und hatte zu viele Locken auf dem Kopf. Gegen ihre Beine hatte er nichts einzuwenden. Und gegen ihre vollen Brüste auch nicht. Aber sie war einfach nicht...
    Er zwang sich, an etwas anderes zu denken. Kassia de Moreton kam ihm in den Sinn. Sie war eine kleine Person, zart, süß und weich. Aber sie würde nie die seine werden. Das Schicksal hatte es verhindert. Wenn er ihren kraftstrotzenden Ehemann nicht so gut leiden könnte - beinahe so, wie er Kassia liebte -, dann wäre er wohl schon in Versuchung geraten, Graelam in einer dunklen Nacht die Kehle durchzuschneiden, um seine Frau zur Witwe zu machen.
    Dienwald seufzte. An Kassia bewunderte er alles - ihre Freundlichkeit, den scheuen Humor und die arglose Aufrichtigkeit, die hingebungsvolle Treue zu ihrem Gatten, ihr hübsches Aussehen bis hin zu dem zarten Knochenbau und den schmalen Handgelenken ... Na schön, da bestand für ihn keine Hoffnung.
    Aber wenigstens waren sie befreundet. Sie war gern mit ihm zusammen. Nur daß sie in letzter Zeit darauf versessen war, eine reiche Erbin für ihn zu finden. Sie sagte immer, sie wolle

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