Die Stimme der Erde
nur einen einzigen Wunsch, und das bist du. Ich wünsche mir nur dich zur Frau.«
»Aber er hat mich doch mißbraucht«, sagte sie. Walter war ein Lügner! Es war viel länger her als fünf Jahre, als er sie kennengelernt hatte. »Er hat mich wieder und wieder verführt. Auch auf unnatürliche Art.«
Und dabei dachte sie: Ach, hätte Dienwald mich doch nur verführt! Sie ließ jedoch Walter nicht aus den Augen. Er war nicht dumm, ihr Vetter. Daher war sie auch nicht überrascht, als er sie jetzt auf den Mund küßte. Aber es ekelte sie an. Er sagte, und es klang wirklich aufrichtig: »Das alles macht mir nichts aus.« Dann drehte er sich um und ging. Von draußen schloß er die Tür ab.
Ärgerlich sagte sie: »Und warum schließt du mich ein?«
Nur eine einzige Kerze spendete trübes Licht in dem Kämmerchen. Doch das Dunkel war irgendwie tröstlich. Sie tastete sich zu dem schmalen Bett, legte den weichen gelben Überrock ab und zog sich das Kleid aus. Dann legte sie sich auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit.
Warum wollte er sie unbedingt heiraten? Warum? Sie mußte sich vor Sir Walter in acht nehmen. Er war ein gefährlicher Mensch. Es mußte einen Grund geben. Denn es war undenkbar, daß er nur von dem brennenden Wunsch nach einer Frau, nach irgendeiner Frau beherrscht wurde.
Es galt, sehr vorsichtig zu sein. Sie mußte ihn in Sicherheit wiegen. Dann würde sie vielleicht einen Fluchtweg für Edmund und sich entdecken. Wenn sie nicht fliehen konnten, würde es entsetzlich werden. Sie würde sich weigern, Walter zu heiraten, und er würde sie endlose Male vergewaltigen, da machte sie sich nichts vor. Aber warum?
Es war sinnlos, auf Dienwald zu warten. Er könnte leicht zu spät kommen. Und immer wieder fragte sie sich: Warum will Walter mich unbedingt heiraten?
Hatte ihr Vater sich eines anderen besonnen? Hatte er Walter Geld geboten, wenn er sie fand und heiratete? Vielleicht sogar Land? Nein, das war unmöglich. Ihr Vater änderte nie einen einmal gefaßten Entschluß. Immer neue Fragen stürmten auf sie ein, bis ihr der Kopf schmerzte. Aber eine Antwort fand sie nicht.
In der Nähe der Burg Crandall
Dienwald haßte das Warten. Aber er konnte nichts unternehmen. Seine Männer hatten sich in einem dichten Ahorngehölz versteckt, wo sie von der engen, gewundenen Straße nach Crandall nicht zu entdecken waren. Gelangweilt und ruhelos lungerten sie herum, stritten sich, würfelten und erzählten sich Geschichten von Heldentaten und Erfolgen bei Frauen.
Wo waren der Narr und Gorkel geblieben? Was war mit Philippa und Edmund? Hatte Philippa ihn verraten, oder war sie gefangen genommen worden, als Ellis und Albe getötet wurden?
Sie allein konnte ihm die Antwort geben. Sie und dieser Hurensohn Walter. Dienwald setzte sich unter eine uralte Eiche und lehnte sich an den Stamm. Verdammt noch mal, wie er sich nach Philippas weicher Haut sehnte! Er stellte sich vor, wie sie nackt einen Wassereimer über ihn ausschüttete und seinen Körper mit ihren sanften Händen einseifte. Sofort wurde sein Glied so steif, daß es spannte. In diesem Augenblick war ihm klar, daß er sie sogleich, wenn er ihrer habhaft werden sollte, zu ihrem Vater zurückschicken mußte. Denn wenn er sie bei sich behielt, würde sein Verlangen übermächtig werden. Und das durfte er nicht zulassen.
Nein, dazu durfte es nicht kommen. Mit de Beauchamp wünschte er keine Verbindung. Lord Henry war ein hochtrabender Esel, arrogant und stolz auf seine Vorrechte, auf seine große Macht und Würde. Nein, er, Dienwald, wollte frei bleiben, niemandem Rechenschaft abgeben müssen und nur für seinen Sohn sorgen.
Frei sein! Das war das Wichtigste.
Er frage sich aber, was jetzt auf Crandall vorging. Es quälte ihn. Er sprang auf und schritt ruhelos hin und her.
Burg Crandall
Im Innenhof von Crandall gab Crooky eine Vorstellung. Er lächelte nach allen Seiten, sang und vollführte allerhand Kapriolen. Alle schauten ihm gespannt zu. An einer Kette führte er Gorkel mit sich. Sie hing an einem Lederband um dessen mächtigen Hals. Crooky zog daran und redete mit ihm wie mit einem Bären, dem man abwechselnd böse und schmeichelnde Worte zuruft. »Da drüben steht ein hübsches Mädchen, Gorkel! Nick ihr mit deinem häßlichen Kopf einen Gruß zu, Gorkel!«
Gorkel beäugte das hübsche Mädchen, das ihn aufgeregt ansah. Er nickte ihr zu und grinste dann über das ganze Gesicht, wobei er die breiten Lücken zwischen den Vorderzähnen entblößte.
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