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Die Stimme der Erde

Titel: Die Stimme der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Dann zerrte der Narr heftig an der Kette, und Gorkel ließ ein so fürchterliches Brummen hören, daß die Frauen in der schnell anwachsenden Zuschauermenge angstvoll aufkreischten und die Männer einen Schritt zurückwichen.
    Der Narr lachte und stolzierte um Gorkel herum. »Keine Angst, hübsche Mädchen! Ihr seht hier ein Ungeheuer, das so häßlich ist wie des Teufels Sippe, aber es ist ein freundliches Ungeheuer und tut alles, was ich von ihm verlange. Hör mal, du nettes Mädchen mit dem sanften Lächeln, jetzt sage, was das Ungeheuer für dich tun soll!«
    Das Mädchen Glenda rief laut: »Ich möchte, daß er eine Gigue tanzt! Er soll seine Riesenbeine hoch in die Luft werfen!«
    Zwischen den Zähnen zischte Crooky: »Kannst du für das Mädchen eine Gigue tanzen, Gorkel?«
    Mit tierisch unbewegter Miene und ausdruckslosem Blick fing Gorkel an, zu hopsen und zu springen. Langsam hob er erst ein Bein, dann das andere und hüpfte mit plumpen Bewegungen umher. Crooky stimmte ein Lied an und klatschte mit den Händen den
    Takt dazu. Während er in die Menge spähte, grölte er, so laut er konnte:
    »Alle sind hier, um das Ungeheuer tanzen zu sehn.
    Er macht tolle Sprünge, daß euch die Sinne vergehn.
    Ein Heide, ein Wilder, sieht grundhäßlich aus,
    Und doch ist er fröhlich, ihm macht das nichts aus.«
    Crooky hätte beinahe einen Freudenschrei ausgestoßen, als er sah, wie Edmund zwischen zwei Männern hindurchschlüpfte und Gorkel anstarrte. Der Junge trug nur noch Lumpen am Leib, er hatte blaue Hecken und war völlig verdreckt, aber beim Anblick von Gorkel und ihm blitzten seine Augen vergnügt auf. Dank dem heiligen Andreas, er war noch am Leben! Und wo war seine Herrin? Saß sie etwa hinter Schloß und Riegel? Hatte Sir Walter ihr ein Leid getan? Bei diesem Gedanken rieselte es Crooky kalt über den Rücken.
    Crooky ließ Gorkels Ketten klingen. Der hörte auf zu tanzen und blieb schweratmend, immer noch furchterregend grinsend neben dem Narren stehen. Dann entdeckte er Edmund und warf ihm einen Blick zu. »Ah«, schrie Crooky plötzlich, »mich deucht, ich sehe noch ein hübsches Mädchen, so eine große mit so viel Haaren auf dem Kopf, daß man mit ihnen eine Matratze stopfen könnte. Komm her, schöne Maid, und laß dich von meinem Ungeheuer beäugen!«
    Philippas Herz pochte wild. Sie war im Laufschritt in den Innenhof geeilt, als sie Crookys mißtönende Verse gehört hatte. Dann hatte sie Gorkels Tanz mitangesehen, ohne ihn zuerst zu erkennen, denn er trug ein buntes Flickengewand, und ein ungepflegter Bart bedeckte sein Kinn. Gott sei Dank, dachte sie, Dienwald muß ganz in der Nähe sein. Und dann erblickte sie auch Edmund. Er war schmutzig, sah aber gesund und munter aus, Gott sei Dank! »Ich komme!« rief sie. »Laß das Ungeheuer die schöne Maid nach Herzenslust beglotzen!«
    Sie raffte die Röcke und lief auf sie zu. Crookys freudiges Lächeln wurde plötzlich starr und erlosch. Das begriff sie nicht. Sie blieb stehen und überlegte fieberhaft. »Hier bin ich. Ich wünsche dir einen guten Morgen, Ungeheuer.« Sie machte einen Knicks. »Sieh mich an! Ich bin ein Mädchen und sehne mich nach dem Mond. Aber da ist nur eine Sonne, die hält mich in glühenden Banden und peinigt mich ohne Unterlaß.«
    Crooky faßte sie scharf ins Auge. Indessen stapfte Gorkel schwerfällig umher und strich sich den langen Bart.
    Sie ist hübsch gekleidet, dachte Crooky, wie es einem Mädchen zusteht, das geliebt wird. Sie war also nicht hinter Gittern, und Sir Walter hielt sie nicht gefangen. Hatte er sie auf ihren eigenen Wunsch entführt? Crooky dachte daran, was sie gesagt hatte. Es waren geheimnisvolle Worte gewesen, deren Sinn nicht leicht zu deuten war. Hatte sie damit gemeint, daß sie den Wunsch hatte, ihrem Vetter zu entfliehen? Seit seinem zehnten Lebensjahr, als ihn der umstürzende Baum verkrüppelt hatte, war ihm bewußt, daß er nur kraft seines Verstandes überleben konnte. Er hatte ein gutes Gedächtnis, und jetzt prägte er sich jedes ihrer Worte ein.
    »Nun, schöne Maid«, sagte er nach einer Weile, »wenn du dich nach dem Mond sehnst, so muß ich dir sagen, daß er sich wie die Sonne zu bestimmten Stunden versteckt hält. Doch wenn es keiner erwartet, dann geht er plötzlich auf. Ja, schöne Maid, der Mond wartet nach seiner Gewohnheit ganz in der Nähe. Er wartet, bis es an der Zeit ist, zu erscheinen.«
    »Was soll denn das, Kusine? Ein Krüppel, der ein wildes Tier an der Kette

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