Die Stimme des Blutes
grenzenlosen Verwunderung. Durch einen Seitenblick vergewisserte sie sich, daß der Graf nicht mitgekriegt hatte, wie sein neuer Priester, der gebildete und gelehrte Benediktiner, sich einen Spaß daraus gemacht hatte, die Messe mit Küchenlatein zu garnieren. Allerdings nicht in der Art des letzten Priesters. Nein, dieser Mann war gebildet, er hatte die Fähigkeit, mit Worten zu jonglieren und zu manipulieren ...
Der Rest der Messe ging schnell vorbei, und der Priester erwähnte keine Feinde und abgeschlagenen Köpfe mehr.
Er erteilte dem Grafen und Daria den Segen, sagte mit erhobenen Armen »Dominus vobiscum«, und der Graf erwiderte auf die Beschwörung des Herrn, mit ihnen zu sein: »Et cum spiritu tuo.«
Pater Corinthian blickte erwartungsvoll auf Daria, und sie sagte leise: »Capilli horrent.«
Roland war aufs äußerste verblüfft. Ausdruckslos wiederholte sie nicht »Et cum spiritu tuo«, sondern erneut »Capilli horrent.«
Die Haare stehen ihm zu Berge.
Die kleine Göre sprach Latein! Bei allen Heiligen, sie machte sich über ihn lustig! Wie leicht konnte sie ihn verraten! Er faßte sich schnell und hörte sie sagen: »Bene id tibi vertat.«
Er senkte den Kopf. Die lateinischen Worte der Messe summten ihm im Kopf herum. »Ich wünsche Euch Erfolg in der Angelegenheit.«
Roland trat zurück und breitete die Arme aus. »Deo gratias.« Er lächelte den Grafen an, der ein Gesicht machte, als hätte der liebe Gott persönlich ihm seine Anerkennung ausgesprochen.
»Ich danke Euch, Pater, vielen Dank. Meine Seele jubelt über Euer Hiersein. Ja, als wir keinen Priester mehr in der Burg hatten, fürchtete ich um mein und das Seelenheil meiner Leute.«
Dann wandte er sich an Daria und sagte mißbilligend: »Du hast etwas gesagt, was ich nicht als liturgische Antwort erkannte. Was war es?«
»Es war reiner Unsinn«, erwiderte sie. »Mir fiel die vorgeschriebene Antwort nicht ein, und da habe ich irgend etwas gesagt, was ähnlich klang. Verzeiht mir, Pater, es war unehrerbietig von mir.«
Die Miene des Grafen verhärtete sich. »So etwas ist Gotteslästerung. Der gute Pater Corinthian wird dich die vorgeschriebenen Antworten lehren, damit du sie endlich behältst. Es ist eine Schande, sie nicht zu kennen, Daria.«
»Ja, Mylord.«
Der Graf empfahl sich. Sie waren allein in der dunklen Kapelle.
»Wer seid Ihr?«
»Das nenne ich schnell zur Sache kommen«, bemerkte Roland, den Blick auf die geschlossene Kapellentür gerichtet. »Laßt mich erst nachschauen, ob keiner draußen ist!«
»Und selbst wenn ein Dutzend Leute an der Tür horchten, wäre es unerheblich. Die Tür ist beinahe so dick wie die Steinwände.«
Dennoch begab sich Roland zur Tür, machte sie auf und schloß sie dann wieder leise. Dann drehte er sich zu ihr um.
»Wer seid Ihr?« fragte sie nochmals.
»Ihr sprecht Latein.«
»Ja, ich spreche Latein. Das habt Ihr wohl nicht erwartet.«
»Allerdings nicht. Doch Ihr habt mich dem Grafen nicht verraten. Darf ich annehmen, daß Ihr immer noch zu fliehen wünscht?«
Sie nickte und fragte erneut: »Wer seid Ihr?«
»Euer Onkel hat mich zu Eurer Befreiung hergesandt. Wie Ihr bereits wißt, bin ich kein Benediktinermönch.«
Sie lächelte ihn strahlend und sehr boshaft an. »Aber Ihr seid im Gegensatz zu dem vorigen Priester, der kaum ein paar zusammenhängende, entfernt nach Latein klingende Worte sprechen konnte, ein gebildeter Mensch. Der Graf wußte das natürlich nicht. Seid Ihr den Priester endgültig losgeworden?«
»Ja. Es war ganz einfach. Er fühlte sich elend auf Tyberton und war nur zu gern bereit, für ein paar Münzen zu verschwinden. Ihr habt mich also erkannt, als Ihr gestern in Ohnmacht fielt? Ihr wußtet auf den ersten Blick, daß ich kein Priester bin? Seid Ihr deshalb auf einmal blaß geworden und zusammengebrochen?«
Sie schüttelte den Kopf und schien peinlich berührt. »Ich weiß nicht, wie es dazu kam ... ich meine, ich habe Euch nicht erkannt und weiß immer noch nicht, wer Ihr seid. Und doch glaubte ich Euch zu kennen, vielleicht besser als mich selbst.« Das hört sich völlig unsinnig an, dachte sie. Und wieder packte sie der Schock des Wissens, daß er da war, tief in ihr, ein Teil von ihr. Sie trat einen Schritt zurück. Er mußte sie für eine Verrückte halten.
»Was ist es dann? Erschrecke ich Euch?«
»Ja«, sagte sie, »aber ich begreife es nicht.«
Roland verstand kein Wort von dem, was sie sagte. Aber er hatte jetzt auch nicht die Zeit, es sich
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