Die Stimme des Blutes
Selbstverständlich haben sie Brüste, die Milch spenden, und einen Schoß, in dem sie Kinder austragen. Aber das ist auch alles. Daß sie Kinder zur Welt bringen, darin sehe ich kein Geschenk Gottes, sonst würden sie nicht so häufig im Kindbett sterben. Damit vergeuden sie die kostbare Zeit des Mannes. Meine beiden ersten Frauen waren schwach an Körper und Geist.«
Roland erinnerte sich an Joan of Tenesby. Deutlich sah er sie in diesem Augenblick vor sich und hätte schwören können, daß sie einen schärferen Geist besaß als jeder Mann, den er kannte. Mit einem Hochmut und einer Rücksichtslosigkeit, die ihn noch jetzt, sechs Jahre später, sprachlos machte, hatte sie die Menschen ihrer Umgebung vernichtet.
»Aber Ihr seid lüstern nach der jungen Daria, nicht wahr? Ihr habt ihr Putz vom Händler gekauft, um ihr zu gefallen und ihrer Eitelkeit zu schmeicheln. Doch in Wirklichkeit habt Ihr damit nur Eure eigene Eitelkeit befriedigt.«
»Ihr dreht mir die Worte im Mund herum, Pater. Wenn uns nicht das Verlangen nach dem Weibe triebe, könnten wir uns nicht fortpflanzen. Daher ist unsere Wollust das wahre Geschenk Gottes. Gott schenkte uns die Frauen, und wir haben das Recht, sie zu benutzen, sobald sie dafür reif sind.«
Roland zog seinen Königsläufer und sagte lächelnd: »Nein, Mylord, Ihr seid es, der mit Worten trefflich zu streiten vermag, ihr würdet einen guten Bischof abgeben.« Plötzlich bemerkte Roland, daß sein Läuferzug die Stellung des Grafen stark gefährden würde, und nahm die Figur zurück.
»Laßt den Läufer stehen!« verlangte der Graf, der die Gefahr nicht erkannt hatte. Roland gehorchte und lehnte sich dann zurück.
Der Graf war weniger am Schachspiel als an der Darstellung seiner Ansichten interessiert. »Da ist noch etwas, Pater. Etwas, das meinen Geist seit vielen Wochen quält. Wie gesagt, ist Daria noch jung, doch finde ich, daß sie sich gelegentlich leichtfertig benimmt, Frömmigkeit vermissen läßt und weiblicher Eitelkeit frönt. Daher zweifle ich jetzt an ihrer Tugend. Immer wieder frage ich mich: Ist sie überhaupt noch Jungfrau? Oder hat ihr Onkel sie Ralph von Colchester während seines Besuchs auf Reymerstone überlassen?«
»Nein«, sagte Roland schnell. »Ihr Onkel hat sie Colchester nicht überlassen, sondern sie vor ihm geschützt. Daran ist kein Zweifel erlaubt.«
»Ich setze wenig Vertrauen in Frauen. Sie verführen die Männer durch ihre Schönheit und ihr bescheidenes Auftreten, das nur ein schlaues Manöver ist. Vielleicht hat Daria so auch Colchesters Gunst gewonnen. Ich muß es wissen, bevor ich sie heirate. Ich muß es wissen, und ich werde es erfahren.«
»Ihr müßt mir glauben, Mylord. Das Mädchen ist noch Jungfrau. Ihr Onkel hätte es nie zugelassen, daß Colchester sie nimmt. Damit hätte sie ihren Wert und ihren guten Namen eingebüßt. Und was noch mehr zählt, auch den guten Namen der Familie ruiniert.«
Der Graf von Clare wollte nicht zugeben, daß Roland die Wahrheit sprach. Mit finsterer Miene fuhr Roland fort: »Ihr wollt also nichts anderes, Mylord, als daß die Kirche ihren Segen dazu gibt, wenn Ihr das Mädchen vor der Hochzeit mit Gewalt nehmt. Zu diesem finsteren Plan wollt Ihr den Segen der Kirche haben! Nein, Mylord, dafür könnte ich Euch keine Absolution erteilen. Es gibt aber eine andere Lösung, mit der Eure Frage beantwortet werden kann. Erlaubt mir, sie selbst zu befragen. Ich besitze die Gabe, eine Lüge zu durchschauen. Ich werde sofort merken, ob sie lügt oder nicht. Und ich werde Euch die Wahrheit sagen.«
»Und Ihr werdet ihren Worten trauen, Pater? Oder wollt Ihr sie daraufhin untersuchen, ob sie die Wahrheit gesagt hat?«
Vor Überraschung und Ekel wäre Roland beinahe vom Stuhl gefallen. Erwartete der Graf wirklich, daß ein Mann Gottes eine Frau untersuchte, um festzustellen, daß sie noch ihre Jungfernschaft besaß?
Doch es gelang ihm, ruhig zu antworten: »Wenn sie es mir sagt, werde ich wissen, ob sie die Wahrheit spricht oder nicht.«
Roland umklammerte seine schwarze Dame so fest, daß die Knöchel seiner Hand weiß hervortraten.
Schließlich nickte der Graf. »Gut, dann sprecht mit ihr! Tut es gleich, Pater! Ich muß es wissen.«
Doch vorher wollte der Graf noch die Partie zu Ende spielen. Roland hätte ihn gern mattgesetzt, doch er fürchtete, daß ihm das den Unwillen Clares zuziehen würde. Daher machte er absichtlich einen schweren Fehler, indem er seine Dame so stellte, daß der weiße Springer
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