Die Stimme des Blutes
geschlossen, sah sie rührend klein und schwach aus.
»Daria«, sagte er. »Komm, setz dich auf! Du kriegst jetzt etwas zu essen. Nur ein wenig. Du wirst jedenfalls tun, was die Königin sagt.«
»Bitte, geh weg, Roland, ich bitte dich! Ich will nichts essen. Ich esse mein ganzes Leben lang nichts mehr.«
»Das mußt du aber, weil dein Kind sonst verhungert.«
»Na schön. Laß das Essen stehen und geh!«
»Warum? Ist es dir peinlich? Das ist unsinnig. Komm jetzt und iß! Ich muß bald wieder zum König. Er verlangt, daß seine Untertanen ihm jederzeit zur Verfügung stehen. Eine Zuwiderhandlung läßt er sich nur ein einziges Mal gefallen.«
Sie gehorchte. Sie kannte Roland ja nun gut genug. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ er nicht davon ab.
Er setzte sich neben sie und fütterte sie mit kleinen Stücken Weißbrot, die er vorher in Fleischsoße stippte. Um sie abzulenken, erzählte er ihr von seinem Hengst Cantor. »Er ist dick und faul geworden. Aber das macht nichts. Wenn wir erst einmal in Cornwall sind, werde ich täglich mit ihm arbeiten, bis er wieder schlank ist.« Nach einer Weile fuhr er in verändertem Ton fort: »Der König mischt sich wieder mal in meine Angelegenheiten«, sagte er ärgerlich. »Er befürchtet, daß dein Onkel mich auf glühenden Kohlen rösten läßt, wenn ich nach Reymerstone reite, ihm von unserer Hochzeit Mitteilung mache und deine Mitgift fordere. Daher schickt der König Burnell mit zwölf Männern zu ihm. Sie sollen für mich die Vorarbeit verrichten.«
Diese Nachricht erleichterte sie ungemein. Da sie wußte, daß Roland das nicht gern hören würde, fragte sie statt dessen: »Du wolltest meinen Onkel aufsuchen?« Es war ihr unbegreiflich, daß sich jemand freiwillig zu ihrem grausamen, zynischen Onkel begab.
»Du brauchst nicht gleich zu zittern, wenn du von ihm sprichst. Er wird dir nie wieder etwas tun. Ja, ich wollte Auge in Auge vor ihm stehen und hören, ob er Widerspruch erhebt. Schade, daß es nicht dazu kommt. Aber was soll ich machen? Edward spielt eben gern den großen Vermittler. Jedenfalls reiten du und ich mit mehreren Kriegern des Königs nach Cornwall, während der arme Burnell nach Reymerstone muß. Ich habe diese Männer gefragt, ob sie in meinen Dienst eintreten wollen, und sie haben zugesagt. Sie wollen unbedingt nach Cornwall zurück, weil ihre Familien dort leben.«
Die kleine Mahlzeit hatte Daria gutgetan. Ihr Magen beruhigte sich. Sie fühlte sich bedeutend stärker.
»Hast du auch Angehörige dort? Gehen wir zu deinem Bruder?«
»Nein, mein Bruder und alle anderen Angehörigen wohnen in der Nähe von York in Nordostengland. Aber in Cornwall gibt es eine schöne alte Burg. Sie heißt Thispen-Ladock und gehört Sir Thomas Ladock. Es ist kein besonders eindrucksvoller Bau, aber er versprach mir, ihn mir zu verkaufen. Das Land rund um die Burg ist nur schwach besiedelt. Ich will eine Stadt gründen und Händler, Bauern und Schmiede ansiedeln.« Plötzlich wechselte er das Thema. »Wir reiten morgen ab.«
»Wie du willst.«
Er stand auf. »Ich muß jetzt zurück zum König, um zu hören, welche weiteren angenehmen Pläne er für mich bereithält. Wie geht es deinem Magen?«
»Gut.«
»Bist du morgen reisefähig?«
Bleibt mir denn etwas anderes übrig? fragte sie sich. Würde er sie sonst hierlassen? Oder sie in den Burggraben werfen? »Ja, ganz bestimmt.«
Er hatte widerstreitende Empfindungen. Einerseits hatte er ein Schuldgefühl, weil er sie morgen schon wieder zu einer langen Reise zwang, andererseits verdroß es ihn, daß er nur langsam reiten durfte, damit ihr nicht wieder übel wurde.
In der Tür blieb er stehen und sagte: »Schlaf jetzt! Ich werde dich heute nacht nicht stören. Ich gedenke noch, dem König einige Einwendungen vorzutragen, glaube aber nicht, daß ich ihn umstimmen kann. Er ist der sturste Mann in ganz England. Er behauptet steif und fest, daß irgend jemand mir die Kehle durchschneiden würde, wenn ich nicht sofort nach Cornwall abreiste. Und er wünscht, daß ich wenigstens so lange am Leben bleibe, bis ich Vater gewor ... Wie gesagt, wir reiten morgen früh ab, wenn es dir recht ist.«
13
Am nächsten Morgen herrschte dichter Nebel. Schweigend, bis zum Kinn in einen ihrer Wintermäntel gehüllt, wartete Daria auf das Ende von Rolands Abschiedsgespräch mit dem König.
Sie hatte sich bereits bei der Königin verabschiedet, die ihr eine große Flasche mit dem von ihr eigenhändig
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