Die Stimme des Blutes
Sie soll dem Grafen selber sagen, daß sie aus freien Stücken ohne königlichen Druck Roland de Tournay geheiratet hat.«
Langsam stand Daria auf. Sie kam sich vor wie in einem absonderlichen Traum. Während sie über den kalten Steinfußboden von Tybertons großem Saal schritt, sah sie ringsum bekannte Gesichter. Die Meinungen schienen geteilt. Einige blickten mit Hohn auf ihren Herrn, andere musterten sie mit haßerfüllter Miene. Die Königin hatte ihr vorher versichert, daß ihr Gatte einen Kampf zwischen den beiden Männern nicht zulassen werde. Nun, egal was sie über Roland dachte, sie war jetzt seine Frau und durfte ihn nicht im Stich lassen. Sie nahm die Schultern zurück und trug den Kopf hoch.
So trat sie vor den Grafen von Clare. »Ja, Mylord?« sagte sie freundlich. »Ihr wolltet mich sprechen?«
Obwohl sie blaß war, schien sie ihn nicht zu fürchten. Doch er würde schon mit ihr fertig werden. Als erstes werde ich sie schlagen, dachte er, wenn auch nicht allzu hart, nur um sie an ihre Pflichten ihm gegenüber zu erinnern. Dann würde er sie ergreifen, und diesmal sollte sie ihm keiner mehr wegnehmen. Beim Gedanken an ihre Heirat mit Roland de Tournay stieg ihm das Blut in den Kopf, und seine Lenden spannten sich. In grobem Ton fuhr er sie an: »Hast du ihn wirklich geheiratet? Freiwillig?«
»Ja. Ich bin seine Frau.«
»Bei allen Heiligen! Dann hast du mich angelogen, als ich dich wieder einfing? Du bist in Wrexham gar nicht vor ihm ausgerückt? Du hast nicht nach mir gesucht?«
»So ist es, Mylord. Er war krank geworden und wäre, wenn Ihr ihn gefunden hättet, kampfunfähig gewesen. Ich erfuhr von Eurem Eintreffen in Wrexham. Außerdem hatten Eure Männer Rolands Pferd im örtlichen Mietstall entdeckt. Ich mußte ihn retten, denn Ihr hättet ihn ohne Zögern getötet. Da schwang ich mich auf sein Pferd und ritt los, um Euch auf eine falsche Spur zu bringen.«
Roland erging es wie in der vergangenen Nacht auf dem Höhepunkt seiner Leidenschaft. Wieder wollte er sie fest in die Arme schließen, sie küssen und liebkosen und alles andere vergessen. Doch er hatte so getan, als empfände er nichts für die still unter ihm liegende Frau. Sie hatte ihn belogen, und das sollte ihm nicht noch einmal passieren.
Jetzt hatte sich allerdings herausgestellt, daß sie ihn wirklich gerettet hatte. Und wenn schon! Die Geschichte von dem Kind war und blieb gelogen. Anders war es nicht vorstellbar. Sobald sie von dem Grafen Clare wieder eingefangen worden war, hatte er sie totsicher vergewaltigt.
Der Graf von Clare keuchte wild auf. »Und dabei habe ich dir so viel geboten! Verdammt noch mal, Mädchen, du könntest jetzt Gräfin sein. Statt dessen bist du die Frau eines einfachen Ritters, zur Armut verurteilt...«
»O nein, Mylord, arm werde ich bestimmt nicht sein«, sagte Daria. »Habt Ihr denn vergessen, daß Ihr nicht nur nach meiner Hand, sondern auch nach meiner Mitgift getrachtet habt? Wolltet Ihr Euch nicht an meinem Onkel rächen? Nun, all mein Besitz gehört jetzt Roland!«
Der Graf verlor jede Beherrschung. In sinnloser Wut schlug er ihr die Faust an die Kinnlade. Die Wucht des Schlages ließ Daria zurücktaumeln. Dann fiel sie auf den Steinfußboden. Roland stürzte auf den Grafen los. Eine Faust traf Clare am Hals, die andere mit voller Kraft unterhalb der Gürtellinie. Der Graf brüllte auf und torkelte rückwärts. Mit einem weiteren Schlag streckte Roland ihn zu Boden. Der Graf fiel um wie ein gefällter Baum. Sein Schwert schepperte laut auf den Steinen.
Roland stand über ihm und sagte drohend: »Merk es dir, ich bin ihr Mann und werde sie jederzeit vor solchem Gesindel wie dich beschützen!« Er versetzte dem Grafen einen Fußtritt in die Rippen, kniete dann neben ihm nieder, packte ihn am Waffenrock und schlug ihm zweimal die Faust ins Gesicht. Als er ihn losließ, gab es einen häßlichen Klang. Der Graf war mit dem Hinterkopf am Boden aufgeschlagen.
»Laßt es genug sein, Roland!« rief der König. »Trinkt einen Schluck Bier! Nach dieser Arbeit müßt Ihr doch durstig sein.«
Doch Roland hörte nicht darauf. Er sah, wie die Damen der Königin Daria auf die Beine halfen und ihr das Kleid glattstrichen. Als er auf sie zuschritt, wichen sie zurück.
»Sieh mich an, Daria!«
Der Graf - dieser erbärmliche Dreckskerl - hatte sie schwer getroffen. »Heute abend wirst du das Gesicht einer Hexe haben. Tut es sehr weh?«
Sie schüttelte den Kopf. Diese stoische Haltung gefiel ihm. Das
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