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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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zu Yvor Baloyne gesagt hatte, ich würde sterben, wenn das Regal voll sei. Er hatte das für einen Scherz gehalten, und ich hatte nicht widersprochen, obwohl ich meine ehrliche Überzeugung geäußert hatte, deren Albernheit ihre Echtheit in nichts schmälert. Ich hatte also, um auf Yowitt zurückzukommen, noch einmal Glück gehabt oder, wie man will, auch kein Glück gehabt und bleibe, obwohl ich in meinem zweiundsechzigsten Lebensjahr achtundzwanzig meiner Person gewidmete Folianten besitze, vollkommen unbekannt. Darf man im übrigen so reden?
    Professor Yowitt schrieb über mich nach Regeln, die nicht er aufgestellt hat. Nicht alle Personen der Öffentlichkeit dürfen auf die gleiche Art betrachtet werden. Der Kleinheit großer Künstler darf man mittlerweile nachspüren, und manche Biographen scheinen nachgerade zu glauben, eine Künstlerseele müsse mit kleinen Gemeinheiten abgepolstert sein. Großen Gelehrten gegenüber ist noch immer das alte Schema verbindlich. Den Künstler erkennen wir bereits als an seinen Körper geschmiedeten Geist, ein Literaturwissenschaftler darf sich über die Homosexualität eines Oscar Wilde auslassen, doch man kann sich schwerlich einen Wissenschaftshistoriker vorstellen, der sich analog dazu mit den Schöpfern der Physik befaßt. Die haben unanfechtbar, vollkommen zu sein, und die historische Veränderung besteht allein in unterschiedlichen Angaben über ihren Aufenthaltsort. Ein Politiker darf ein Schurke sein, ohne aufzuhören, ein großer Politiker zu sein,ein genialer Schurke hingegen, das ist eine Contradictio in adjecto: Schurkenhaftigkeit macht Genialität hinfällig. Das verlangen heute die Regeln.
    Eine Psychoanalytiker-Gruppe aus Michigan versuchte zwar, diesen Zustand zu ändern, doch hat sie die Sünde der Trivialität begangen. Den Hang zum Theoretisieren, der bei Physikern zutage tritt, leiteten diese Forscher aus sexuellen Hemmungen ab. Die psychoanalytische Lehre entdeckt das Tier im Menschen, das vom Gewissen derart fatal zugeritten wird, daß sich das Tier unter dem frommen Reiter unwohl fühlt und der Reiter in seiner Position nicht minder, weil seine Anstrengung ja nicht nur dahin geht, das Tier zu bändigen, sondern es auch noch unsichtbar zu machen. Die Konzeption, nach der ein altes Tier in uns steckt, das die neue Vernunft ohne Sattel auf seinem Rücken trägt, ist ein Gemisch aus verschiedenen primitiven mythologischen Vorstellungen.
    Die Psychoanalyse serviert uns die Wahrheit auf infantile, das heißt »gymnasiale« Weise: Brutal und überstürzt erfahren wir durch sie Dinge, die uns schockieren und uns daher zum Gehorsam zwingen. Es kommt mitunter vor, wie just in diesem Falle, daß eine sich zwar der Wahrheit nähernde, doch billige Vereinfachung gerade soviel taugt wie eine Lüge. Einmal mehr werden uns Dämon und Engel, Bestie und Gott, in manichäischer Umarmung verschlungen, vorgeführt, und noch einmal wird der Mensch durch seinesgleichen für unschuldig erklärt als ein Kampfplatz von Kräften, die in ihn gefahren sind, ihn ausstopfen und sich in seiner Haut breitmachen. Und so ist denn die Psychoanalyse vor allem ein »Gymnasialismus«. Skandale sollen uns den Menschen erklären, und das ganze Drama des Daseins spielt sich zwischen dem Schwein und dem sublimierten Wesen ab, in das die Anstrengung der Kultur dieses zu verwandeln vermag.
    Und so müßte ich denn eigentlich Professor Yowittdankbar dafür sein, daß er mein Bildnis im klassischen Stil gehalten und die Methode nicht bei den Psychologen von Michigan entliehen hat. Ich habe nicht vor, besser über mich zu sprechen, als sie es getan haben würden, aber zwischen einer Karikatur und einem Porträt ist immerhin ein Unterschied.
    Ich glaube zwar nicht, daß jemand, der der Gegenstand von biographischen Arbeiten ist, über bessere Kenntnisse verfügt, als seine Biographen sie besitzen. Ihre Situation ist günstiger, weil sie Unklarheiten durch unzulängliche Angaben rechtfertigen können, was zu der Annahme berechtigt, daß der Beschriebene, wenn er lebte und dies wollte, ihnen die fehlenden Informationen hätte zur Verfügung stellen können. Der Beschriebene hingegen verfügt über nichts weiter als über Hypothesen zur eigenen Person, die wohl als seine Hervorbringungen, aber nicht unbedingt als jene fehlenden Bausteine Aufmerksamkeit verdienen mögen.
    Bei genügendem Einfallsreichtum vermag eigentlich jeder eine ganze Reihe von eigenen Lebensläufen zu schreiben, die sich zu einer nur

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