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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Wolltuch gedehnt hatte, damit es länger aussah, lag im Stock. Ein paar Menschen waren zusammengelaufen, um sich anzusehen, wie ein Verkäufer von schlechtem Wein gezwungen wurde, eine Gallone seiner eigenen Ware zu trinken, ehe man ihn in den Stock legte und den Rest über ihm ausgoß. Das machte fast genauso viel Spaß wie Bärenpiesacken; man jubelte begeistert. Ein Büttel zog mich am Ellenbogen zum Sheriff hin, der dem Gericht vorsaß.
    »Das ist die Frau«, sagte er.
    »Bist du überzeugt, daß es die Richtige ist? Sie sieht mir zu jung aus.« Man sah dem Sheriff seine Zweifel an.
    »Das ist sie – sie ist genauso, wie sie beschrieben wurde.«
    »Weib, du bist der Zauberei beschuldigt worden – handelst du mit Schwarzer Magie?« Der Sheriff musterte mich prüfend, während er auf meine Antwort wartete. Ich blickte ihm fest in die Augen. Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Er saß umgeben von mehreren Männern auf einer Bank unter einem Baum. Rings um ihn wirbelte das Menschengewimmel viel Staub auf. Damit ihm die Kehle nicht zu trocken wurde, hatte er einen großen Krug Ale dabei. Ich merkte, daß er etwas Angst hatte. Marktgerichte sind eigentlich nicht für Hexenprozesse gedacht. Dafür braucht es Fachleute.
    »Ich habe nichts dergleichen getan«, sagte ich ernst. »Ich bin eine gute Christin und verabscheue den Teufel und seine Werke.« Schulterzuckend sagte er zu seinem Beisitzer:
    »Da habt ihr's. Sie streitet es ab. Sie sieht ehrlich aus. Viel zu jung, finde ich.«
    »Aber Mylord Sheriff, der Mann, welcher sie beschuldigt hat, war felsenfest davon überzeugt. Und schließlich haben wir Beweise.«
    »Weib, du bist der Zauberei beschuldigt worden, weil du eine Salbe verkaufst, die übermenschliche Kräfte verleiht – eine Salbe, die aus dem ausgelassenen Fett ungetaufter Säuglinge gemacht worden ist.« Er hielt ein kleines Kästchen hoch. Das elendige, einzige Stück, das ich an die wohlhabende Frau losgeworden war. Ein sehr merkwürdiger Ausdruck muß über mein Gesicht gehuscht sein.
    »Und was soll nun hier drin sein?« Er öffnete es und hielt es mir unter die Nase. Ich ließ den Kopf hängen und wurde knallrot.
    »Gänsefett, Talg und Kräuter«, sagte ich und schämte mich.
    »Und verleiht das übermenschliche Kräfte? Kann man fliegen und hat man das Alles-Sehende-Auge?« Ich war am Boden zerstört. Das kommt davon, wenn man windige Geschäfte betreibt.
    »Und wenn Ihr Euch überall damit einreibt, Ihr bekommt davon nur einen übermenschlichen Geruch«, sagte ich. »Ich habe aber nie etwas anderes behauptet, als daß sie gut gegen Brandwunden hilft.«
    »Dann habt Ihr sie verkauft?«
    »Ja, zu meinem Leidwesen.« Er unterdrückte ein Zucken um die Mundwinkel.
    »Zauberei ist eine ernste Angelegenheit. Nur mit Ableugnen kommt Ihr mir nicht davon. Ihr müßt es auch beweisen.«
    »Beweisen?«
    »Aber ja doch. Wir sind hier zwar nicht richtig dafür ausgestattet, aber ich kann mir auch keinen Fehler leisten. Eine Hexe entwischen zu lassen? Das könnte das Ende meiner Laufbahn bedeuten. Das müßt Ihr verstehen. Also, was sagt Euch mehr zu –« er deutete zum Fluß hin » – Wasser? Oder Feuer?« Er musterte eingehend mein Gesicht. Feuer, dachte ich, Herre Jesus, steh mir bei! Meine Augen müssen meine jähe Furcht verraten haben.
    »Aha, sieht mir ganz nach Feuer aus, oder?« Er wandte sich an seine Helfer. »Wir brauchen ein richtig großes – gleich da drüben. Heute nachmittag dürfte es heiß genug sein, was meint Ihr? Holt den Gemeindepfarrer, er soll kommen, wenn's fertig ist. Ich bitte um Entschuldigung für den Aufschub, meine Liebe, aber wir werden Euch noch ein Weilchen hierbehalten müssen.«
    Mir kam das alles sehr unwirklich vor. Der entschuldigte sich doch tatsächlich, weil ich darauf warten mußte, daß man mich zu Asche verbrannte?
    »Ihr wollt mich also verbrennen – ohne Gerichtsverfahren?« wagte ich schüchtern zu fragen.
    »Das ist das Gerichtsverfahren. Wir tun die glühendheißen Kohlen da drüben hin, Ihr lauft ein Weilchen darauf herum – barfuß natürlich – und dann verbindet der Priester Euch die Füße. Nach einer Woche nimmt er den Verband ab, und wenn die Brandwunden an Euren Füßen geheilt sind, seid Ihr frei. Wenn sie eitern, verbrennen wir auch noch den Rest. Das dürfte gerecht sein, einen Fehler kann ich mir nämlich nicht erlauben. Es liegt jetzt alles bei Gott, Weib. Ihr tätet besser daran, zu bereuen und zu beten.« Er goß sich Ale in den Mund.

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