Die Stimme
Alpträume bereitet hatte. Die Locken – vollendet wie immer, doch jetzt mit ein wenig Grau darin. Und er hatte sich einen kleinen Bart stehen lassen. Vermutlich weil ihm jemand erzählt hatte, daß Bärte in Mode seien.
»Das ist er, der reiche Teufel da!« rief eine Stimme. War es einer der Büttel? Die Menge versperrte Small den Weg. »Laßt mich durch, ihr Pack, könnt Ihr nicht sehen, daß ich ein Mann von Stand bin? Ihr täuscht euch!« Doch der Anflug von Furcht in seiner Stimme verriet ihn.
»Wir haben ihn gesehen, wir haben ihn gesehen, er ist es«, schrie eine alte Frau, und die Menge drang auf ihn ein, so daß ich gerade noch einen wild fuchtelnden pelzverbrämten Ärmel von ihm sehen konnte. Ich hörte, wie seine Stimme schriller wurde, während er versuchte, sich durch das Gewühl der Leiber zu drängen. In einiger Entfernung konnte ich seine Frau sehen, sie hatte die Augen angstvoll aufgerissen, ehe sie sich in der Menge versteckte. Dann erhaschte ich einen Blick auf sie, wie sie mit verrutschter Haube entfloh und sich in entgegengesetzter Richtung einen Weg durch das Gedränge erfocht.
»Das ist er! Das ist er! Reißt ihn in Stücke!« Das Menschengewimmel sah nach Aufruhr aus.
»Wir wollen sehen, wie er das macht. Der steht doch selber mit dem Teufel im Bund!« Eine rauhe Hand packte Lewis Small am pelzverbrämten Überrock, und entweder strauchelte er oder wurde gestoßen, jedenfalls befand er sich auf den glühenden Kohlen. Er fiel hin und schrie auf, als er sich die Hand verbrannt hatte, kam auf die Füße und versuchte verzweifelt zu entkommen. Seine goldenen Ketten klirrten und glitzerten. Seinen steifen Filzhut mit der Feder hatte er verloren, der schwelte jetzt auf den Kohlen, ehe er jäh aufflammte. Es war ein häßlicher Hut, ein scheußliches, dunkles Ding mit einem Edelstein und einer schmalen Krempe. Soviel Zeit, und immer noch kein Geschmack.
Die Menge um ihn wich und wankte jetzt nicht mehr, und jemand stieß ihn mit einem Knüppel zurück auf die Kohlen. Außer sich vor Schmerz kam er hoch, seine Augen blickten irre. Dieses Mal schwelte seine Kleidung und ging dann in Flammen auf. Es stank entsetzlich nach versengter Katze, und ich konnte sehen, wie er sich die verbrannten Hände hielt, und die Ringe glitzerten auf dem blasigen Fleisch. Als die Flammen ihm den Rücken hochkrochen, fing er gräßlich an zu kreischen und zu laufen. Die Menge wich vor ihm zurück, als sein Haar aufflammte und sich in eine Art infernalischen Heiligenschein verwandelte. Das Laufen fachte die Flammen an, und die Menge machte ihm viel Platz, als aus dem trockenen Stoff seines Gewandes Funken sprühten. Jetzt krallte er nach Gesicht und Kopf, als könnte er den Brand damit löschen, und das angesengte Fleisch und der Aschebart knisterten und platzten auf, daß ihm das Blut unter den Fingerstümpfen hervorquoll.
Die Menge sah mit einer Art faszinierter Ehrfurcht zu, wie die fast nicht mehr zu erkennende, doch immer noch kreischende menschliche Fackel in wahnsinnigen, exzentrischen Kreisen um die Kohlen rannte. Blindlings lief sie in einen Baum hinter der Richterbank hinein und fiel auf den Rücken. Irgendwie arbeiteten Arme und Beine immer noch, zuckten sinnlos wie bei einem sterbenden Insekt. Rings um ihn verstreut lagen verbrannte, schwärzliche Kleiderfetzen, und ich konnte ihn bis auf die weißen Knochen sehen. Stumm sah die Menge zu, wie die Flammen auf der angeschwärzten Masse erstarben, die sich immer noch auf der Erde wand und stöhnte, während fettiger Rauch von ihr aufstieg. Ich vermochte es nicht, die Augen abzuwenden. Ich konnte mich nicht einmal bewegen. Mein Gott, wie der Mann brannte! Ich dachte, gleich steigt er aus den Flammen empor wie ein Teufel und lächelt sein grausiges Lächeln. Nur das nicht, nur das nicht, dachte ich voller Entsetzen. Aber das Gesicht – das war nicht mehr da. Diese schwärzliche Kruste konnte nie wieder jenes gräßliche Lächeln lächeln. Das Gestöhn – klang das etwa wie mein Name? O nein, lieber Gott, o nein! Dann ging ein Zucken durch die Masse, und ich sah, wie eine vollkommen rissige und schwarze Hand, gleichsam eine verbrannte Klaue, in meine Richtung deutete, o, wie entsetzlich! Tot, tot. Gern hätte ich mit einem Stock nach ihm gestochert, um sicherzugehen.
»Schnell weg, solange sie nicht hinsehen«, drängte Bruder Sebastians Stimme hinter mir, während er mir meinen Umhang umwarf und mich hochzog. Er legte mir den Arm um den Rücken und trieb
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