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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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ihrem Umhang ausbreiten konnte. Schon bald machte sie gute Umsätze. Bruder Sebastian zog los, um mit Peter Geschäfte zu machen, welcher sich an derlei Orten immer großer Beliebtheit erfreute, während Master Robert und seine Freunde sich eine geeignete Stelle suchten, wo es nicht zuviel rivalisierende Gruppen gab, und mit Trommeln und Jonglieren begannen.
    Mir überließ man die sechs Kästchen mit der stinkenden Salbe, eben die sechs Kästchen, die ich schon den ganzen Sommer mitgeschleppt hatte. Sie verkauften sich nicht gut – genauer gesagt, sie verkauften sich überhaupt nicht und stanken von Tag zu Tag ärger. Da Bruder Sebastian annahm, es läge an meinem Geschick als Verkäuferin, hatte er mich noch einmal instruiert, ehe er verschwunden war:
    »Denk daran, Margaret, als Brandsalbe ist sie nicht gut gelaufen – empfiehl sie also für Falten, Entzündungen und Pockennarben, die alle bei dir verschwunden sind, nachdem du eine ausreichende Menge Salbe verwendet hast. Empfiehl Leuten mit schlimmen Pockennarben zwei Kästchen. Und höre um Himmels willen auf, den Leuten zu erzählen, was drin ist! Sag einfach, es ist ein seltener Balsam aus Arabien, den dir ein Seemann aus Genua in Bristol verkauft hat.« Ich ließ den Kopf hängen und protestierte:
    »Aber Bruder Sebastian, ich kann nun einmal nicht lügen. Und in Bristol bin ich auch nie gewesen. Außerdem riecht sie nicht gut.«
    »Mein Gott, liebe Margaret, ein abstoßender Geruch bedeutet doch einfach, daß sie noch besser wirkt. Nun mach mal Gebrauch von deinem Kopf.« Und schon war er in der Menge untergetaucht. Wie blöde ich mir vorkam! Ich wanderte umher, besah mir die Buden, die Pferde, die Hunde, die Menschen – nur diese ekligen Dinger wurde ich nicht los. Ich bestaunte gerade ein paar wirklich schöne venezianische Gläser, als ich darin das verzerrte Spiegelbild eines Mannes erblickte. Wie merkwürdig vertraut mir das doch vorkam. Ich fuhr herum, sah aber nur noch die enteilende Gestalt eines wohlhabenden Kaufmanns mit seiner stämmigen, juwelenbehängten Frau. Seltsam, aber irgend etwas am Gang des Mannes und an den gleichmäßigen Locken auf seinem Rücken erinnerte mich an Lewis Small.
    »O Margaret, jetzt siehst du auch noch Gespenster«, sagte ich zu mir. »Nun aber an die Arbeit.« Ich hielt eines von diesen widerlichen Kästchen hoch und versuchte, es auszurufen, doch meine Zunge war nicht imstande, den seltenen Balsam aus Arabien anzupreisen. So trug ich ihn einfach in der Hand spazieren. Wenn er sich doch bloß von allein verflüchtigen würde. Ein Weilchen wanderte ich so umher, wünschte, das Frühstück wäre ausgiebiger gewesen und ich jemand anders – jemand, der nicht sechs Kästchen mit stinkender Salbe in der Hand trug. So staunte ich nicht schlecht, als eine große, reich gekleidete Frau mich anhielt und fragte, was ich da in der Hand hätte.
    »Salbe gegen Falten«, erwiderte ich. »Sie hilft sehr gut bei Verbrennungen, sie soll auch gut für Pockennarben sein, und sie besteht aus –«
    »Ich möchte eines«, sagte die Frau, und sie zahlte mit einem Silberpenny dafür. Das machte mir Mut, ich dachte, vielleicht kann man die anderen einfach loswerden. Gesagt, getan, und warum sollte ich mir nun eigentlich nicht die Ringkämpfe ansehen? Nicht schnell, o nein – langsam ließ ich mich in der Menge dahintreiben, wobei ich so tat, als verkaufte ich Salbe. Und als ich dann einen Tanzbären anstaunte und immer noch ein Kästchen aus meinem elendigen Vorrat in der Hand hielt, da wurde ich von zwei Bütteln angesprochen.
    »Seid ihr die Frau, welche Salbe verkauft?« fragte der eine.
    »Sie hat sie doch in der Hand, siehst du das denn nicht?« sagte der andere und blickte das Kästchen erschrocken an. Ich blickte es auch an. Roch es wirklich so arg? Mittlerweile drang der Gestank wohl schon unter dem Deckel hervor.
    »Ihr seid es also. Kommt mit. Man erwartet Euch vor dem Marktgericht.« Gänzlich verwirrt folgte ich ihnen schweigend. Niemand nahm von uns Notiz, als wir durch die Menge schlüpften.
    »Was will man denn von mir?« fragte ich schüchtern.
    »Als ob Ihr das nicht wüßtet«, antwortete der eine der Männer mit angeekelter Miene. Sie hielten mich immer noch am Arm gepackt, als wir den Rand des Marktes erreichten, wo ständig ein Gericht tagte, um die Nichtigkeiten abzuhandeln, welche entstehen, wenn Einheimische, Fremde und Geld zusammenkommen.
    An jenem Tag hatte das Marktgericht wenig zu tun. Ein Mann, welcher

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