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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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wie sehr ich dich liebe«, verbesserte ihn Margaret und küßte ihn.
    Der Tag hatte gerade erst angefangen und schien bereits ein Glückstag zu werden. Vom Dock schickte man Nachricht, daß sich die Godspeed in den Hafen geschleppt hätte und jetzt im Eis vor Anker läge. Sie war mehr als zwei Monate überfällig, denn Winterstürme hatten sie vom Kurs abgebracht, und sie trug eine Ladung, die mehreren bedeutenden Handelsherren gehörte, darunter auch Roger Kendall. So ein schlimmer Verlust traf schwer, besonders vor Weihnachten, doch er hatte gelächelt, als ob alles in Ordnung wäre, und war seinen Verpflichtungen klaglos nachgekommen. Kendalls Theorie hieß: laß niemanden sehen, daß du blutest, das lockt nur die Haie an. Jetzt aber war wirklich alles in Ordnung, und er war sehr erleichtert.
    »Margaret, liebes Mädchen«, rief er freudestrahlend, »ich gehe jetzt zum Hafen hinunter und rede selbst mit dem Kapitän und bitte ihn zu Tisch.«
    »Kannst du nicht jemand schicken? Du fehlst uns hier, der Kapitän wird seine Geschichte sowieso noch früh genug los«, gab sie zurück.
    »Unsinn, Unsinn, das wäre mir ja eine schöne Begrüßung. Ich bin im Nu wieder zurück.«
    Etwas ganz, ganz Winziges, eine Art Stäubchen in Margarets Herzen – etwas, wovon kaum sie selbst wußte – machte, daß sie sagte:
    »Dann nimm mich mit. Ich möchte so gern mit.«
    »Das ist Männersache und sehr langweilig, mein Mädchen. Das Interessante hörst du dann beim Abendessen.« Und schon war er fort, in seinen dicken Mantel gehüllt und von zwei seiner Gesellen begleitet.
    Zu Fuß brauchte man nicht lange zur Werft, doch Kendall war von dem vielen Feiern noch so übersättigt, daß er nur langsam vorankam. Überall hatte sich die Nachricht von der Ankunft des Schiffes verbreitet, und so strömten denn die Menschen herbei, darunter auch Lionel, Kendalls ältester Sohn, der meinte, daß jetzt, da sein Vater soviel Glück gehabt hatte, eine gute Gelegenheit wäre, ihn um Geld anzugehen. Er gesellte sich zu der kleinen Gruppe auf dem Dock, und noch in einiger Entfernung konnte man laute Worte hören, dann sah man, wie Lionel wutentbrannt die Faust hob. Doch sein Vater antwortete nicht. Kalter Schweiß bedeckte das Gesicht des alten Mannes. Er wurde totenblaß; ein schweres Gewicht preßte ihm die Brust zusammen, und er brachte kein Wort heraus. Jetzt drehten sich seine Männer plötzlich besorgt um und fingen ihn auf, als er umzufallen drohte. Der Kapitän des Schiffes, der ihm zur Begrüßung entgegenkam, stand still und bekreuzigte sich. Roger Kendall würde weder ihn noch jemand anders wieder zum Abendessen einladen.
    Die entsetzte Magd holte Margaret zur Tür. Sie warf einen Blick nach draußen und sah die betretenen Gesichter der Gesellen ihres Mannes, dazu zwei Fremde, die auf der Straße vor der Haustür standen. Leichter Schnee wirbelte um sie herum und legte sich auf ihre Kapuzen und Bärte und das in den Umhang gehüllte Bündel, welches sie trugen. Wortlos forschte sie in ihren Gesichtern, sie ahnte, was man ihr sagen wollte. Dann trat sie hinaus und zog die Hülle vom Haupt ihrer betrüblichen Last. Es war der Leichnam ihres Mannes.
    Margaret riß die Augen auf, rang nach Atem. Ihr Gesicht leuchtete geisterhaft blaß, und dann brach sie zusammen, fiel ohnmächtig in den matschigen Schnee vor der Tür. Jetzt kam Leben in ihre Leute, man hob sie auf und brachte sie nach drinnen, um den Weg für den Leichnam freizumachen.
    Als man Roger Kendall dann zum letzten Mal in seiner eigenen Diele abgesetzt hatte, war auch Margaret wieder zu sich gekommen. Dem Haushalt wäre es lieber gewesen, wenn sie geweint hätte, denn dann hätte man sie trösten und den eigenen Gram lindern können. Stattdessen erteilte sie mit eigenartiger und abwesender Stimme Anweisungen für die erforderlichen Vorbereitungen. Der Schockzustand hielt an, bis der Leichnam zur Aufbahrung im Sarg fertiggemacht werden sollte. Man hatte zwei Mönche bestellt, daß sie ihn wuschen und ins Leichentuch nähten. Doch Margaret hatte sie beiseitegeschoben. Eigenhändig wusch sie den Toten und bahrte ihn auf; keiner durfte ihn anrühren. Als sie seine Hände nahm und sie auf der Brust falten wollte, da fiel ihr Blick auf die große Narbe, die über den ganzen Handrücken der Rechten lief. Ein unerträglicher Schmerzklumpen löste sich und stieg hoch, und die Tränen liefen ihr übers Gesicht, als sie zuerst die Narbe, dann den Handteller küßte und ihre Hand zum

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