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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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und Strümpfe aus.
    »Genau wie früher, was?« grinste er auf seine komische, schiefe Art, doch er biß dabei die Zähne zusammen.
    »Genauso«, lächelte Margaret, »denn du bist so maßlos und trotzig wie ein Kind, finde ich.«
    »Leg deine Hand – ja – genau dorthin; ja, da ist's richtig. Weißt du was? Du hast mich geheiratet und meine Gicht geheilt, damit ich noch viele fröhliche Weihnachtsfeste erleben konnte. Alles war von Gott vorherbestimmt.«
    »Und doch solltest du dich mehr vorsehen.«
    »Was habe ich denn zu fürchten, wenn du bei mir bist, Margaret?« Kendall entspannte sich, nachdem der Schmerz in seinem malträtierten Fuß nachgelassen hatte.
    »Fürwahr, rein gar nichts. Ich liebe dich so sehr, daß ich selbst in die Hölle gehen und dich ihr entreißen würde, wie dazumal Orpheus.« Margaret war mit der Behandlung seines Fußes fertig, und nun saßen sie zusammen händchenhaltend auf dem Bett.
    »Wenn in dieser Familie jemand entrissen wird, mein Mädchen, dann du, wenn ich dich nämlich nächste Woche auf dem Maskenfest im Savoy vor dem Zugriff dieses lüsternen Herzogs von Lancaster bewahren muß. Weißt du eigentlich, welches Gerücht jetzt wieder in der Stadt umläuft? Seitdem du Französisch kannst, soll ich dich aus einem Kloster entführt und anschließend geheiratet haben.« Er lachte in sich hinein, als Margaret ausrief:
    »Ehrlich, ich finde, die Menschen glauben nicht nur alles, was sie hören, sie behalten es auch nicht länger als vierundzwanzig Stunden!«
    Das Gerücht lief die ganze Weihnachtszeit über auf einer Reihe von Festlichkeiten hinter ihnen her, und beide hatten ihren Spaß daran, denn bei genauem Hinhören kamen sie auf mehrere Varianten der Geschichte. Schließlich konnte Margaret der Versuchung, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, nicht länger widerstehen. Als dann der nächste rougierte Lebemann daherkam und sie um unschickliche Gunstbeweise bat, da murmelte sie ihm ins Ohr:
    »Ach, wenn mein böser Onkel mich doch nur nicht im Kloster eingesperrt hätte – aber jetzt ist es leider ganz und gar zu spät, mein Los ist besiegelt –« Damit verschwand sie in der Menge, daß sie ihrem Mann alles haarklein berichtete, und ließ den angemalten Kerl einfach stehen.
    »Mein lieber Baron, es gehört sich wirklich nicht für einen Niemand, ein gebildetes Mädchen von edler Herkunft auf diese Weise einzufangen«, beschwerte sich der Lebemann.
    »Wer weiß? Vielleicht habt Ihr ja noch Chancen bei ihr. Meinen Mittelsmann hat sie just nach Martini abgewiesen, die kleine, frömmelnde Schwindlerin. Aber es ist vorauszusehen, daß sie ihr langweiliges Leben bei diesem alten Kaufmann bald leid wird«, erwiderte sein Kumpan. Doch das hörte Margaret natürlich nicht.
    Zu Neujahr beschenkten die Kendalls die Mitglieder des Haushalts mit neuen Kleidern und Geld, und das kam für die Lehrbuben gerade noch rechtzeitig, denn die wuchsen aus ihren Sachen heraus, kaum daß sie gekauft waren. Die kleinen Mädchen bekamen jede ein Spielzeug und von ihrer Mutter zwei kleine Nähkörbe, denn diese fand, es sei nie zu früh, nützliche Dinge zu erlernen. Ihr Vater hatte für jedes eine Bernsteinkette und ein kleines Goldarmband gekauft, in das ihre Initialen graviert waren. Dann schenkte Margaret ihrem Mann etwas, das sie lange geheimgehalten hatte, nämlich ein Schachspiel mit geschnitzten, orientalischen Figuren und einem Brett in Einlegearbeit, was alles ebenso faszinierend zum Betrachten wie zum Spielen war.
    Doch sein Geschenk für sie, das er so lange und klug im voraus geplant hatte, machte für sie den Tag zum Fest. Der Psalter war schön in schlichtes Kalbsleder gebunden und trug als rundes Muster Margarets Initialen auf dem Deckel. Drinnen zogen sich säuberliche Reihen von Latein über die Seiten, wobei die englische Übersetzung gleich darüberstand und fast Wort für Wort dem Latein entsprach. Auf Illumination war verzichtet worden, doch die englischen Anfangsbuchstaben waren hübsch rot nachgezogen und die lateinischen blau, so daß man sie auseinanderhalten konnte. Das hatte in ganz England nicht seinesgleichen, denn es war gleichzeitig Lehrbuch und Andachtsbuch. Margaret war entzückt. Wenn das nicht einfach märchenhaft war! Ein richtiges Buch, das nur ihr gehörte, ein Symbol dafür, wie stolz ihr Mann auf sie war, weil sie sich mit dem Lesenlernen soviel Mühe gegeben hatte. Und wer weiß? Womöglich würde es ihr eines Tages auch die Geheimnisse der lateinischen Sprache

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