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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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leid. Natürlich habt Ihr recht; Musik ist das allerbeste Heilmittel.« Dann verabschiedete er sich mit einer tiefen Verbeugung von der kleinen Menge um ihn herum: »Liebwerte Freunde, ich muß Euch leider verlassen – wir wurden unvermutet zu einer Privatvorstellung abgerufen.« Zusammen stapfte die kleine Gruppe – Malachi, der Kleine William, der Jongleur, der Lange Tom, der Pfeifer, und Maistre Robert – durch die schmalen Straßen zum Fluß hinunter und zu Margarets Haus. Als Master Robert an der leuchtend bemalten Fassade hochblickte, hielt er den Atem an. Wenn Margaret es nicht großartig getroffen hatte – nicht, daß sie es nicht verdiente, doch Master Robert mußte daran denken, wie sie alle in grobe Decken gehüllt am Wegesrand geschlafen hatten und von Glück sagen konnten, wenn sie die paar Pence für altbackenes Brot und dünnes Ale zusammenbekamen.
    »Keine Sorge«, sagte Bruder Malachi, »sie ist noch genauso nett wie früher – aber betrüblich verändert durch den herben Verlust. Das macht uns nämlich allen Sorge.« Man führte sie zusammen nach oben, obwohl ihre schreiend bunten Umhänge und die bändergeschmückten Instrumente die konservativeren Mitglieder des Haushalts schockierten. Margaret saß im Bett und blickte ins Leere, sie sah sie nicht. Ihr Anblick schnitt Master Robert doch sehr ins Herz. Ob nun schlicht oder prächtig, seine Umgebung war ihm ziemlich gleichgültig. Mit einem Blick erfaßte er die Wandbehänge, die dicken Teppiche, das große Himmelbett und die eisenbeschlagenen Truhen und sah, daß Geld, welches so manche Witwe tröstet, Margaret nichts bedeutete. Wer auch immer der Mann gewesen sein mochte, sie mußte ihn von ganzem Herzen geliebt haben.
    Also nahm Maistre Robert le Tambourer seine kleine Handharfe und begann mit der langen, traurigen Ballade von Tristan und Isoldes Liebe. Als er dann bei Tristans Tod ankam, waren alle so betrübt, daß sie weinten. Und als er von Isoldes Gram sang, da blickte ihn Margaret mit leeren Augen an, in denen jetzt die Tränen schimmerten. Und als sie dann flossen, da fing sie an zu schluchzen, als ob ihr das Herz brechen wollte. Hilde nahm sie in die Arme.
    Doch Master Robert wußte mit Kummer umzugehen, denn er hatte ihn in fast allen Abschattierungen an sich selbst erfahren und war schon zu so manchem gerufen worden, daß er ihn tröstete. Und so ließ er auf die Ballade etwas anderes folgen, ein zartes, lyrisches, instrumentales Duett mit dem Langen Tom. Dann trocknete sich der Kleine William, dessen Tränen auch reichlich flossen, die Augen und setzte mit einem anderen traurigen Lied ein. Alsdann beschleunigte Master Robert das Tempo mit einem lebhafteren Lied. Danach stimmten sie eines von Margarets Lieblingsliedern an und baten sie mitzusingen. Zunächst konnte sie nicht, doch als man beim zweiten Kehrreim angelangt war, setzte sie mit zitternder Stimme ein. Dann sangen sie zusammen, schlugen dazu kräftig den Takt, während die anderen im Zimmer den Kehrreim so unerschrocken mitsangen, daß das Haus von dem Lärm schier ins Wackeln kam. Danach führte Master Robert einen komischen Tanz auf, und alle lachten, selbst Margaret.
    Sie blieben die ganze Nacht, sangen und trugen verrückte Dialoge vor, bis die Kerzen niedergebrannt und die Diener vor Erschöpfung umgefallen waren, und Margaret seit jenem furchtbaren Tag zum ersten Mal richtig Schlaf fand. Als sie am Morgen aufwachte, kam Master Robert persönlich mit dem Frühstück hochgetanzt, und der Lange Tom und der Kleine William standen um sie herum und erzählten Witze, während sie aß. Als sie merkten, daß sie langsam wieder zu sich fand, umarmten sie Margaret und sagten ihr Lebewohl:
    »Margaret, liebes Mädchen, ohne dich ist es auf der Landstraße sehr langweilig gewesen, und seitdem du uns verlassen hast, haben wir uns gezwungenermaßen mit unserer Satire äußerst vorsehen müssen. Vergiß nicht, in der Truppe von Robert le Tambourer wartet immer ein Platz auf dich! Und jetzt, liebes Herz, müssen wir dich verlassen, denn wir haben eine Vorführung im Gildensaal der Goldschmiede.« Dann verneigten sich alle drei äußerst elegant und gingen. Margret sagte:
    »O Hilde, wie ich sie liebe! Vielleicht wird ja doch noch alles gut.«

    Margaret und ihre Freunde bemerkten allerdings nicht, daß die Wölfe sie schon umkreisten wie ein verwaistes Lämmchen auf einer Waldlichtung. Eine arme Wittib mag ein Weilchen keine Freunde haben, eine reiche jedoch ist eine fette Beute.

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