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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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über den Hinterhalt berichten, in den man Bruder Gregory locken wollte.
    »Mach schnell, Hilde, mach schnell, du mußt ihn warnen. Ich habe ihm etwas Furchtbares angetan, und du mußt ihn retten.«
    »Und du, Margaret?«
    »Ich weiß genau, Bruder Gregory fällt etwas ein. Er ist klug. Frag ihn, was da zu machen ist; aber beeil dich, Hilde, warne ihn!«
    Die Morgenröte dämmerte bereits rosa herauf, als die Tore geöffnet wurden und die City erwachte. Da hatte Mutter Hilde mit einiger Mühe das Haus gefunden, in dem Bruder Gregory wohnte. Mit Lion auf den Fersen keuchte sie die baufällige Stiege draußen am Haus zu dem winzigen Raum unter dem Dachfirst hinauf, den er gemietet und schon bald für immer verlassen wollte. Ihr verzweifeltes Geklopfe störte Bruder Gregory in einem heiklen Augenblick. Nachdem er seine Morgengebete gesagt hatte, meditierte er. Am besten war es wohl, man fing mit Christi Wunden an, doch er kam nicht recht voran. Zum einen war er hungrig. Das war er immer nach dem Aufstehen, und es lenkte ihn ab. Zum anderen war Weihnachten bei seinem Vater im Norden nicht gut gelaufen, und er hatte immer noch eine Prellung an der Schläfe, wo ihm sein Vater im Laufe einer wüsten Auseinandersetzung über seinen Entschluß, sein Leben der Einsamkeit und dem Gebet zu weihen, eins übergezogen hatte. Ja, der alte Mann war, kaum daß Bruder Gregory über die Schwelle getreten war, so wütend geworden, daß dieses sofort seiner wankenden Überzeugung aufgeholfen hatte. Je eher desto besser, war seine Folgerung nach dem ersten, zornigen Wortwechsel mit seinem Vater gewesen.
    Drinnen in dem Ohr, an der Seite, wo sein Vater ihm eins übergezogen hatte, summte es immer noch, und das störte beim Nachdenken doch erheblich. Er war aufgebracht: warum um alles hatte er sich von seinem Vater so verprügeln lassen, schließlich war er ein erwachsener Mann. Naja, so sinnierte er besorgt, entweder er ließ es zu, oder er schlug zurück, und das schickte sich nun wirklich nicht, auch wenn sein Vater ein gewalttätiger, alter Mann war. Anders besehen war es bewundernswert, daß er für seinen Entschluß sogar Prügel hingenommen hatte. Fürwahr, wenn das nicht bewies, daß sich der Abt ganz und gar getäuscht hatte! Er besaß auch kein bißchen, kein allerkleinstes bißchen Stolz! Allmählich wurde Bruder Gregory ganz stolz auf sich. Wie demütig er doch gewesen war, hatte nur ein wenig zurückgeschrien (was unter den Umständen völlig gerechtfertigt war), ehe sein Vater ihn mit dem machtvollen Schlag außer Gefecht gesetzt hatte. Der Abt würde sicher beeindruckt sein von seinem Grad an Demut und zugeben, daß er sich getäuscht hatte.
    Als er es in diesem rosigen Licht besah, wurde er direkt umgänglicher Stimmung. Ob der Psalter Margaret wohl gefallen hatte? Natürlich würde sie die Handschrift erkennen und wahrscheinlich die prächtigen Anfangsbuchstaben bewundern, doch daß er auch die Übersetzung gemacht hatte, darauf kam sie nie. Das war sein Geheimnis. Für eine Frau war sie gar nicht so unrecht, und es war ein hübsches Abschiedsgeschenk. Natürlich hatte er die Vermittlungsgebühr eingesteckt – das war nur gerecht, fand er –, doch den Rest des Honorars hatte er in St. Bartholemew's in die Kollekte für die Armen gegeben. Im Grunde genommen machte sich Bruder Gregory nicht viel aus Geld – er fand, Gott war immer bereit, einem so bewundernswerten Kerl wie ihm unter die Arme zu greifen; irgendetwas würde sich schon ergeben. Außerdem war es gewöhnlich, sich wegen Geld zu grämen, und wenn er eines nicht war, bildete sich Bruder Gregory ein, dann gewöhnlich.
    Die Meditation lief nicht ganz, wie sie sollte, und so bemühte sich Bruder Gregory denn, ein Weilchen an die Demut zu denken, ehe er zu Christi Wunden zurückkehrte. Genau in diesem Augenblick, als er vor seinem Kruzifix prosterniert am Boden lag, da klopfte Mutter Hilde.
    »Wer ist da?« fragte er unwirsch und stand auf.
    »Ich bin's, Mutter Hilde. Es ist wichtig.«
    Mutter Hilde? Die berühmte Mutter Hilde. Die er nie gesehen hatte. In der Tat war Bruder Gregory fast der Letzte in der ganzen Stadt, der noch nicht von Roger Kendalls Tod gehört hatte, war er doch bis vor ein, zwei Tagen nicht im Lande gewesen; er hatte vorgehabt, seine Dinge zu regeln, bevor er ging, hatte aber bislang noch niemanden aufgesucht.
    Er machte die Tür auf, und Mutter Hilde erfaßte sein schmalbrüstiges Zimmerchen mit einem Blick. Es war kaum groß genug zum Umdrehen,

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